Kurs: Technik, Energie und Nachhaltigkeit | OnCourse UB

  • Lektion 3

    • Strategien energieintensiver Industriezweige

      Die energieintensiven Industriezweige sind intensiv mit der Entwicklung von Dekarbonisierungs-Strategien beschäftigt, dazu geführt hat zum einen der drohende finanzielle Druck der steigenden CO2-Abgaben und zum anderen Erfahrungen der jüngsten Energiekrise in Deutschland.

      Zu den wichtigen Akteuren zählt die Glasindustrie (Wasserstoff-Verbrennung, Digitalisierung, elektrische Glasschmelze). Bisher war Erdgas mit rund 80% Hauptenergieträger der Glasherstellung (vgl.: Statistisches Bundesamt 2021). Folgende Abbildung zeigt die Zukunftsszenarien der Dekarbonisierung aus Sicht des Branchenverbandes Bundesverband Glasindustrie (2022).


      (Grafik: © Bundesverband Glasindustrie (2022), S. 29)

      Beispiel

      Das in der Abbildung genannte Oxyfuel-Verfahren zählt zu den CCS-Verfahren (Carbon Capture and Storage), haben aber auch eine CCU-Option (Carbon Capture ans Utilization). Dabei werden kohlenstoffhaltige Brennstoffe mit reinem Sauerstoff anstelle von Umgebungsluft verbrannt. Der Sauerstoff für den Verbrennungsprozess kann mit kryogenen Luftzerlegungsanlagen oder mit Membranverfahren erzeugt werden oder aus Elektrolyse-Verfahren stammen. Infolge der reinen Sauerstoff-Verbrennung entsteht beim Oxyfuel-Verfahren der zweiten Generation CO2-reiches Prozessgas (80-90% CO2). Dieses kann anschließend in einer CO2-Abscheideanlage gereinigt und aufbereitet werden. Das Oxyfuel-Verfahren der zweiten Generation befindet sich in mehreren Forschungs-geförderten Zementwerken in Deutschland im Test (Stand 2024). Die Herausforderung und Chance ist die zukünftige CO2-Nutzung, z.B. zur Treibstoffherstellung oder Methanolsynthese (siehe auch "Transformation der Mobilität").

    • In der Eisen- und Stahlindustrie sind die Dekarbonisierungstechniken zur Erzeugung von grünem (klimaneutralem) Stahl bereits in der konkreten Investition und erfahren in Deutschland an mehreren Stahlwerken eine Umsetzung bis 2027. Das Kernverfahren ist die Direktreduktion von Eisen auf der Basis von Grünem Wasserstoff. Der bisherige Flaschenhals der Transformation ist die Verfügbarkeit von ausreichend grünem Strom, um den benötigten Grünen Wasserstoff zu erzeugen. In Deutschland steigen die Stahlwerke gegenwärtig auf die H2-Direktreduktion um, um in Zukunft grünen Stahl zu erzeugen (siehe Abbildung). Dazu bedarf es der Investition in neue Ofenanlagen, die bisherigen Hochöfen sind für das Verfahren nicht geeignet. Eine weitere Möglichkeit ist die erhöhte Verwendung von Stahlschrott in sogenannten Elektrolichtbogenöfen (in Abbildung: Erhöhung des Schrotteinsatzes). Im Elektrolichtbogenofen sind Graphitelektroden integriert, die unter Spannung durch den Kontakt mit dem Stahlschrott einen Lichtbogen zünden, der mit einer Temperatur von über 3.500°C den Stahlschrott schmelzen lässt.

      Abbildung: Technologien zur Dekarbonisierung der Eisenproduktion

      Grafik: © Umweltbundesamt (Hrsg.) (2024). S. 33


      In der Chemischen Industrie dominiert Mitte der 2020-er Jahre noch der Rohstoff Erdöl für die zahlreichen Synthesewege in die Herstellung von Düngemitteln, Lacken und Farben, Dämmstoffen, Arzneimitteln und Baustoffen. Auffällig ist, dass die Entwicklung von Rohstoffalternativen nicht an den Hauptstandorten der Chemischen Produktion gepuscht wird. Die Innovationen finden in Forschungsprojekten, großen Pionierunternehmen und an alten Industriestandorten statt. Ein frühes Beispiel ist die Polyol-Synthese zur Matratzenherstellung unter Nutzung von abgeschiedenem CO2 bei der Covestro in Nordrhein-Westfalen, welches zu den Carbon Capture and Usage-Verfahren gezählt wird. Über die Elektrolyse und Direct Air Capture werden in Zukunft vielfältige Synthesewege möglich, die bisher auf fossiler Basis produziertes Methanol, Ammoniak und fossile Kraftstoffe auf biogener bzw. regenerativer Basis rein chemisch 1 zu 1 ersetzen können. Die Verfahren sind noch nicht wirtschaftlich, die Situation wird sich aber mit dem knapper werdenden Erdöl und steigenden CO2-Abgaben absehbar deutlich zugunsten der genannten nachhaltigen Synthesewege in der Bioökonomie verändern. 

      Von der chemischen Industrie erfolgreich gepusht werden gegenwärtig chemische Recyclingverfahren, bei denen aus gemischten Altkunststoffen Recyclingöle, Carbon Black oder Synthesegase erzeugt werden können. Technisch herausfordernd ist bei diesen Verfahren die Reinigung der erzeugten Outputprodukte von unerwünschten Kohlenwasserstoff- und Schadstoffverunreinigungen. Gleichwohl sind sie für die Substitution von Erdöl äußerst geeignet und bieten außerdem den Vorteil, dass sie gemischte Kunststoffabfälle und Duroplaste verarbeiten können, die für ein mechanisches Recycling mit Extrusion weniger geeignet sind.

    • In Bioraffinerie-Projekten wurde in den vergangenen 15 Jahren erfolgreich technisch dargestellt, dass sich eine große Bandbreite an Plattformchemikalien herstellen lassen, die für alle klassischen chemischen Synthesewege geeignet sind. Besonders interessant sind die Ligno-Zellulose-Bioraffinerien, die Abfallholz verarbeiten können und aus dem im Holz enthaltenen Lignin, der Zellulose und Hemizellulose eine Reihe von Rohstoffsubstituten herstellen können. Der Rohstoff bzw. Reststoff Holz hat bei den nachwachsenden Rohstoffen den entscheidenden Vorteil, dass er nahezu keine Landnutzungskonkurrenz verursacht, wenn vorwiegend Abfallholz und Holz aus der Landschaftspflege verwendet wird. Bioraffinerien ermöglichen die Erzeugung von Biokunststoffen auf der Basis von Stärke, Zellulose oder biogenen Ölen. Gegenwärtig gibt es noch kein passendes Sammel- und Sortiersystem für Biokunststoffe, dieses wird aber im Rahmen der Forderungen an eine zirkuläre Bioökonomie zusehends eingefordert.

      Große Herausforderungen bestehen bezüglich einer klimaneutralen Gesellschaft gegenwärtig noch bei der Erhöhung der Effizienz der Gebäudeenergienutzung (energetische Sanierung), Wärmewende und in der Transformation der Mobilität. Die Elektromobilität ist für den PKW-Individualverkehr die geeignete zukunftsfähige Technologie. Um die Nachhaltigkeit der Elektromobilität weiter zu erhöhen, werden gegenwärtig Batterierecyclingverfahren optimiert, die bis zu 95% an Rückgewinnung der Batterierohstoffe ermöglichen. Ökobilanzen zeigen die ökologische Vorteilhaftigkeit der E-Mobilität im Individualverkehr. 

      Beispiel

      Die aktuelle Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes „Analyse der Umweltbilanz von Kraftfahrzeugen mit alternativen Antrieben oder Kraftstoffen auf dem Weg zu einem treibhausgasneutralen Verkehr" zeigt die ökologische Vorteilhaftigkeit des Elektro-PKW: „Das geringste Treibhauspotenzial von 140 g CO2eq pro Kilometer weist der Elektro-Pkw (mit 55 kWh Akku) auf, der mit Netzstrom fährt. Er liegt … um 41 % unter dem Benzin-Pkw.“(Umweltbundesamt, 2024: S. 103).



      (Grafik: © Umweltbundesamt Österreich (2024), URL: https://www.umweltbundesamt.at/news210427)


      Alternative Kraftstoffe

      Etwas anders gestaltet sich das Bild zu den geeigneten zukunftsfähigen Antriebsarten für den LKW-, Schwerlast- und Fernstreckenverkehr, Schiffscargo, Kreuzfahrten und den Flugverkehr. Ziel ist es, auf erneuerbarer Basis Kraftstoffe herzustellen, die sich in größerem Umfang speichern lassen, um Langstrecken zu ermöglichen. Die Kraftstoffe können aus unterschiedlichen Ausgangsmaterialien hergestellt werden, gasförmig oder flüssig sein.

      Ein Syntheseweg, der bereits einen hohen technology readiness level (= Technologie-Reifegrade in einer Skala von 1 bis 9) erreicht hat, ist die Herstellung synthetischer Kraftstoffe. Die Verfahren werden Power-to-Liquid-Verfahren (PtL) genannt, weil mit dem Hintergrund der Nutzung von Erneuerbaren Energien in der Regel eine Elektrolyse zur Herstellung von Wasserstoff betrieben wird. Beim PtL-Verfahren erfolgt dann die Zusammenführung des Wasserstoffs (aus der Elektrolyse) mit CO2 (aus der Abscheidung, aus dem Direct Air Capture) zu einem Synthesegas.

      Durch weitere Prozessschritte kann ein Kerosin- oder Diesel-ähnlicher Treibstoff hergestellt werden. Die Herstellung von Flüssigkraftstoffen aus Synthesegas kann auf drei chemischen Wegen erfolgen: Fischer-Tropsch-Synthese, Methanol-Synthese und Alkohol-Synthese (Ethanol, Propanol, Butanol). Eine andere Möglichkeit, nachwachsende Rohstoffe zu Kerosin zu verarbeiten, basiert in der Ernte von Algen in einer Algenbioraffinerie. Mit dem Ausbau der Wasserstoffwirtschaft wird zunehmend auch der direkte Wasserstoffantrieb in Bahnen und Bussen getestet. Die genannten Verfahren befinden sich im Pilotstadium.