Akzeptanz und ihre Einflussfaktoren
In diesem Kapitel sollen soziale Aspekte der Erneuerbaren Energiewirtschaft angesprochen werden. Mit der Erneuerbaren Energiewirtschaft werden neue Arbeitsplätze geschaffen, der Strukturwandel stärkt vor allem die regionale Wertschöpfung und die Beteiligung von privaten und öffentlichen Akteuren. Es bestehen gleichermaßen Chancen für alte Kraftwerks- und Bergbaustandorte an Ort und Stelle als Standort für erneuerbare Energieanlagen transformiert zu werden. Der Bürger, die Kommune oder eine örtliche Energiegenossenschaft wird zum Produzenten und Teilhaber, denn das EEG ermöglicht Standort-bezogene finanzielle Rückflüsse. Es liegen in den Bundesländern eine Reihe von Leitfäden vor, solche Projekte zu realisieren.
In den Jahren bis 2013 hatte es einen ersten Peak der Gründungen von Bürgerenergiegenossenschaften gegeben, ein beachtlicher Teil der Energiewende war in Bürgerhand (vgl. Abbildung). Die durch die Änderung des EEG 2014 eingeleitete Drosselung des Zubaus von Windkraft und Solarenergie setzte dieser Entwicklung ein vorläufiges Ende, welches fast 10 Jahre andauern sollte, ein deutlicher Rückschritt in der Energiewende. Auch die im EEG verankerte Ausschreibungspflicht für größere Anlagen hat Bürgerenergiegenossenschaften den Markzugang stark erschwert bis unmöglich gemacht. Der Gesetzgeber hat mittlerweile das EEG diesbezüglich nachgebessert. Den größten Zuwachs gab es zuletzt bei Energiegenossenschaften, die auf Photovoltaik oder Nahwärmenetze setzen (vgl.: DZ Bank 2024). In den letzten 15 Jahren haben sich über 1.000 Bürgerenergiegenossenschaften mit mehr als 200.000 Mitgliedern gegründet.

(Grafik: "Neugruendungen.jpg" von Albrecht62 auf wikimedia commons, Lizenz: CC-BY-SA 4.0)

Trotz der großen Beteiligung an Energiegenossenschaften wird die Energiewende bundesweit auch durch Bürgerinitiativen gegen
Windkraftanlagen, unter- und überirdische Stromtrassen und Solarparks erschwert.
Am meisten
polarisiert bis heute die Windkraft, hier stehen selbst Umweltverbände wie NABU
und BUND in ihrer Haltung bis heute unversöhnlich gegenüber. Bürger erhalten
widersprüchliche Informationen und reagieren in Folge ablehnend. Es fehlt die
Bereitschaft, Zeit und Geduld in einen vertiefenden Vergleich von Daten und
Fakten zu investieren. Menschen schließen sich damit voreilig einer
öffentlichen kritischen Meinung an, vor allem wenn Projekte in der Nähe der
eigenen Haustür anstehen. Die Debatte ist oft emotional übersteigert. Statt
Windrädern sind es zum Beispiel vor allem der Verkehr und Gebäude, die Vögel
töten. Trotzdem stellen Windkraftanlagen eine Gefahr für Vögel dar, aber die
Zahl ist zu relativieren. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz schätzt
die Zahl der in Deutschland durch Windenergieanlagen getöteten Vögel auf 10.000
bis 100.000. Die Daten einer weiteren Studie, in der GPS-Daten von 126
Schwarzmilanen rund um Windkraftanlagen untersucht wurden, zeigten, dass diese
Vögel bereits einen Kilometer vor den Windrädern ausweichen (vgl.: Max-Planck-Gesellschaft
2022). Zu diesem Sachverhalt gibt es aber auch andere Ergebnisse. Insgesamt
wird ein großer Bedarf an zusätzlicher Forschung in diesem Bereich angemahnt. Zur
Versachlichung und Relativierung der Diskussion soll die folgende Abbildung
dienen.

(Quelle: KALTAPULT 2020, Daten basierende auf NABU, Lizenz: CC-BY-NC-ND, URL: https://www.boell-sachsen-anhalt.de/de/gruene-karten#fakt4)
Selbst bei
den Innovativen als Grüne Technologien bezeichneten Anlagen wie die
Wasserstoffwirtschaft entstehen neue Konflikte. Ein aktuelles Beispiel dazu
einer neuen Bürgerinitiative aus dem Saarland (18.7.24): Die saarländischen
Wasserstoffprojekte von Netzbetreiber Creos und Iqony haben vom
Bundeswirtschaftsministerium insgesamt 146 Mio. EUR Fördergelder erhalten. Die
beiden Projekte sollen der Startschuss für den Aufbau einer
Wasserstoffwirtschaft an der Saar sein. Bei der Saarstahl AG soll bereits in
einem ersten Schritt ab 2027 Grüner Stahl produziert werden, es besteht die
Notwendigkeit, große Mengen an Wasserstoff an den Stahlstandort
Dillingen/Völklingen zu transportieren. Dazu dienen auch grenzüberschreitende
Leitungen in der Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland. Die neue
H2-Leitung soll an dem Ort Oberlimberg vorbeigehen. Dort hat sich 2024 eine
Bürgerinitiative gegründet, die gegen die geplante Trassenführung vorgeht.
Kritik an dem Vorhaben der Leitungsverlegung ist die Gefahr von möglichen
Hangrutschen infolge des Klimawandel in der betroffenen Region sowie mit der
Trassenführung verbundene Baumfällungen.

Über die Ästhetik
von technischen Anlagen und Bauwerken kann die Meinung sehr unterschiedlich
sein. Hässlich oder schön, ist das die Hochspannungsleitung oder der
Mobilfunkturm, das Hochhaus oder die sechsspurige Autobahn oder die
Hinterlassenschaften des Braunkohletagebaus? Menschen, die mit Industrieanlagen
ihrer Region aufgewachsen sind, haben eine Identifikation und trauern, wenn so
mancher alte ästhetisch fragwürdige Kühlturm oder Förderturm gesprengt wird,
weil eine Transformation des Industriegeländes ansteht. Menschen in Deutschland
sind in der Regel positiv zur Energiewende eingestellt, sie erleben den
Klimawandel, gleichzeitig sind sie nicht bereit, sich mit nötigen Kompromissen
in ihrer Heimat auseinanderzusetzen.
Not-In-My-Backyard
Not-In-My-Backyard
ist ein bekanntes
Phänomen. So können Menschen harte Kritiker eine Anlage nah am eigenen
Wohnort zu sein, auch wenn sie grundsätzlich die Erneuerbaren Energien
befürworten. Beispiele für auftretende Widersprüche sind:
- Glasfaserkabel
verlegen ja, aber das Aufgraben der Dorfstraße für die Nahwärmeleitung, nein,
die Baustelle nervt.
- Glasfaserkabel
und Nahwärmeleitung verlegen, ein geschickter Kompromiss, aber Trassenführung durch
den eigenen Garten, auf gar keinen Fall.
- Investor*in in Windkraft- oder Solaraktien ja, aber der Anlagenpark in der Nähe des
Wohnortes, nein undenkbar.
Widersprüchliches Verhalten ist auch aus anderen Bereichen im Umweltschutz bekannt und wird
Attitude-Behavior-Gap genannt. Das tatsächliche Handeln weicht von der Einstellung ab, das kann sehr verschiedene und nicht nur finanzielle Ursachen haben.
Ein erfolgreiches Thema, Bürger positiv in die Energiewende zu integrieren und Akzeptanz zu schaffen ist ihre finanzielle Beteiligung an erneuerbaren Energieanlagen in ihrer Region. In der Lektion 2 sollen die Formen der Teilhabe von Bürgern, Gemeinden und Unternehmen und dafür geeignete Beteiligungsinstrumente erörtert werden.