Kurs: Technik, Energie und Nachhaltigkeit | OnCourse UB
Lektion 4
Preisentwicklung und Strombörse
Die Strompreise gehören in Deutschland im Vergleich zu den Europäischen Nachbarländern und im internationalen Vergleich zu den höchsten der Welt. Es liegt eine hohe Abgabenlast auf dem Strompreis. (Nicht mehr dazu gehört die Erneuerbare Energieumlage, welche in Ihrem Peak im Jahr 2017 mit 6,88 Cent/kWh alle Stromkunden in Deutschland bis 2022 belastet hat, seitdem über staatliche Mittel finanziert wird.) Warum sind also Stromkunden in Deutschland mit steigenden Preisen konfrontiert, obwohl die Stromgestehungskosten der Erneuerbaren Energien in den letzten Jahren gesunken sind?
Akteure am heutigen Strommarkt sind die folgenden Gruppen:
Stromproduzierende: Dazu zählen die vier größten
Stromproduzierenden in Deutschland: RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW. Daneben gibt
es eine Vielzahl mittelgroßer Produzierende, vor allem lokale oder regionale
Stadtwerke. Durch die Energiewende ist ein neuer Erzeugertyp hinzugekommen:
Betreibende von Biomasse-, Windkraft- oder Photovoltaikanlagen. So kann heute
auch eine Privatperson Stromerzeuger*in sein, wenn z. B. eine Photovoltaikanlage
auf dem Dach installiert ist. Diese Privaterzeugenden werden im Volksmund auch Prosumer
genannt, weil sie sowohl Strom produzieren als auch konsumieren.
Ökonomisch günstig steht da, wer eine hohe Eigenverbrauchsquote erreicht.
Stromversorgende beschaffen die benötigten Mengen und
melden gegenüber dem Netzbetreibenden täglich den prognostizierten Stromverbrauch
an. Die Beschaffung der Strommengen erfolgt über die Strombörse in Leipzig
(EEX) oder durch direkte, außerbörsliche Handelsgeschäfte (OTC) zwischen
Geschäftspartner*innen. Der Stromversorgende ist eine Art Mittler*in zwischen Kunde und Kundin,
Stromproduzierenden und Stromnetz.
Stromnetzbetreibende werden in Übertragungsnetzbetreibende (überregionale Verteilung in vier Regelzonen durch vier Übertragungsnetzbetreibende: Amprion GmbH, TransnetBW GmbH, TenneT TSO GmbH und 50Hertz Transmission GmbH)
und Verteilnetzbetreibende (regionale Verteilung) unterschieden. Sie sind
für die Infrastruktur und die Transportwege, also die Stromtrassen und
Transformation zuständig. Sie stellen sicher, dass die Netze stabil sind und
der erzeugte Strom die Verbrauchenden erreicht. Die staatlich regulierten
Übertragungs- und Verteilnetzentgelte machen mittlerweile rund ein Viertel der
Strompreise aus. Zusätzliche staatlichen Abgaben, Steuern und Umlagen – hierzu
zählen unter anderem die Konzessionsabgabe, Netzentgelte, die
Offshore-Haftungsumlage und weitere – tragen dazu bei, dass der Strompreis im Jahr
2024 zu knapp 60% aus gesetzlichen Abgaben besteht (vgl. Abbildung).
Damit es nicht zu unvorhergesehenen Leistungsschwankungen im
Stromnetz kommt, wird durch die Übertragungsnetzbetreibenden sogenannte Regelenergie
vorgehalten. Es wird zwischen positiver und negativer Regelenergie
unterschieden. Steigt die Stromnachfrage über die prognostizierte Menge hinaus,
ist positive Regelenergie erforderlich. Der Netzbetreibende benötigt in diesem
Fall kurzfristig zusätzliche Einspeisung von Energie in das eigene Netz. Liegt ein
Leistungsüberschuss im Netz vor, benötigt der Netzbetreibende negative
Regelenergie durch zusätzliche kurzfristige Stromabnehmende. Übertragungsnetzbetreibende arbeiten mit der Regelreserve,
um Schwankungen im Stromnetz abzusichern. Die Primärregelreserve greift innerhalb von 30 Sekunden, die Sekundärregelreserve innerhalb von fünf
Minuten und die Tertiärregelreserve innerhalb von 15 Minuten.
Einen Einfluss auf den Strompreis hat auch der CO2-Preis. Dieser
ist relevant im Rahmen des europäischen und nationalen Emissionshandels. Die EU
hat im Jahr 2005 den Europäischen Emissionshandel (EU-ETS) eingeführt, Deutschland
ist damit Teil des Europäischen Emissionshandelssystems (EU-ETS). Ganz grob
erklärt, funktioniert das EU-ETS folgendermaßen:
Der Europäische Emissionshandel setzt dort an, wo Emissionen in Industrie, in Kraftwerken und im Luftverkehr entstehen.
Anlagenbetreibende oder Luftfahrzeugbetreibende müssen Emissionsberechtigungen für
den CO2-Ausstoß erwerben, den sie selbst verursachen (sogenannter Downstream-Emissionshandel).
Jede*r Emittent*in von Treibhausgasen darf eine festgelegte Menge an CO2 in
einem festgelegten Zeitraum ausstoßen. Unternehmen, die darüber hinaus CO2
emittieren, müssen Zertifikate zukaufen. Unternehmen, mit einem kleineren
CO2-Fußabdruck, dürfen Zertifikate verkaufen. Mit der Zeit wird die
Gesamtanzahl an handelbaren Zertifikaten verringert und die Emissionswerte
verkleinern sich. Dieses Prinzip wird „Begrenzen und Handeln“ („Cap and Trade“)
genannt. Dabei wird politisch entschieden, wie viele Treibhausgase von allen
Teilnehmenden zusammen ausgestoßen werden dürfen („Cap“). Im EU-ETS wird bisher
ein Teil der Zertifikate kostenlos zugeteilt.
Abbildung:
Übersicht zum Europäischen und Nationalen Emissionshandel in Deutschland
Das Funktionsprinzip einer Strombörse gleicht dem der
Wertpapierbörse. Das heißt, der Strompreis an der
Börse bildet sich im freien Spiel von Angebot und Nachfrage. Die Leipziger
Energiebörse (European Energy Exchange - EEX) ist der größte Marktplatz für
in Deutschland produzierten Strom. Die EEX ist eine öffentlich-rechtliche
Börse, reguliert nach dem deutschen Börsengesetz. An ihr wird Strom aus
Deutschland, aber auch aus vielen anderen Ländern, frei gehandelt. Zu den
Handelsteilnehmenden der EEX zählen Energieerzeugende, Industrieunternehmen,
spezialisierte Handelshäuser sowie Broker*innen (= Finanzdienstleistende) und Banken.
Privatpersonen können nicht am börslichen Großhandel teilnehmen. Prinzipiell
ist die Börse für jedes Unternehmen offen, wirtschaftlich sinnvoll ist der
Börsengang nur für große Unternehmen. Denn für diese Aufgabe müssen speziell
ausgebildete Mitarbeiter*innen abgestellt und rechtliche Zugangsvoraussetzungen in
einem Zulassungsprozess erfüllt werden. Zudem ist eine
entsprechende IT-Infrastruktur notwendig. Mittelständische Unternehmen
haben aber die Möglichkeit, über ihren Stromanbietenden oder einen spezialisierten
Broker oder Brokerin indirekt am Stromhandel teilnehmen.
An der EEX ist die Börse selbst Handelspartnerin für
Anbietende und Nachfragende. Damit bleiben die Marktteilnehmenden anonym. Die Strombörse nimmt
Angebote und Nachfragen entgegen und führt sie zusammen. So werden bilaterale
Absprachen ausgeschlossen. Die tatsächliche, physische Lieferung der Energie
wird dann durch die European Commodity Clearing, kurz ECC, organisiert. Das Clearing
House der EEX AG steht als Mediator*in zwischen beiden Parteien.
Strom wird an der EEX entweder auf dem Spotmarkt oder
auf dem Terminmarkt gehandelt. Der Spotmarkt der EEX befindet sich in
Paris und ist unter dem Namen EPEX Spot bekannt. Der Spotmarkt dient als
Handelsplatz für kurzfristig lieferbaren Strom innerhalb von 1-2 Tagen
(Intraday-Markt bzw. Day-Ahead-Markt), während auf dem Terminmarkt
längerfristige Lieferverträge mit einer Vorlaufzeit von bis zu sechs Jahren
geschlossen werden. Neben Strom werden an der Börse jedoch auch Erdgas, Kohle
sowie CO2-Zertifikate gehandelt.
Die kurzfristige Beschaffung wird über den Spotmarkt an der
EPEX in Paris abgewickelt. Der Spotmarkt dient dazu, Strommengen kurzfristig
auszugleichen, die entweder zu viel oder zu wenig geordert wurden. Denn die
tatsächliche Einspeisung und der reale Verbrauch lassen sich kurzfristig
exakter einschätzen. Der Strompreis wird dabei von Angebot und Nachfrage
bestimmt. Das Angebot kann sich wiederum schnell ändern, wenn etwa ein größeres
Kraftwerk ausfällt oder umgekehrt, der Wind stärker weht.
Intraday-Handel: Hier kann es noch bis zu
fünf Minuten vor Lieferbeginn zum Abschluss kommen, wenn das Handelsgeschäft in
einem Netzgebiet stattfindet, für das der gleiche Übertragungsnetzbetreibende verantwortlich ist. Ansonsten sind es 30 Minuten. Die Strommengen werden in
Zeitspannen von Viertelstunden bis Stundenblöcken gehandelt.
Day-Ahead-Handel: Hier kann noch am Tag
zuvor Strom beschafft werden. Die Preise bei uns werden zunächst für die
Gebotszone Deutschland-Luxemburg abgegeben. In diesem Markgebiet gilt der
derselbe Börsenpreis. Der Preis im Day-Ahead-Markt wird auch für die
gekoppelten Märkte ermittelt, beispielsweise mit der Gebotszone Frankreich oder
der Gebotszonen Niederlande.
Auf dem Terminmarkt wird Strom bis zu mehreren Jahren im
Voraus eingekauft. Der Terminhandel ermöglicht langfristige Planungen
sowie eine Absicherung gegen Preisänderungen. Solche Terminkontrakte für
Commodities, also standardisierte Handelswaren, werden an Börsen als „Futures“
bezeichnet. Die Futures am Terminmarkt der European Energy Exchange
unterscheiden sich durch ihre Lieferzeiträume:
Week-Futures (Wochenprodukte, bis zu fünf
Wochen im Voraus)
Weekend-Futures (Wochenend-Produkte, bis zu
zwei Wochenenden im Voraus)
Month-Futures (Monatsprodukte, bis zu zehn
Monate im Voraus)
Quarter-Futures (Quartalsprodukte, bis zu
elf Quartale im Voraus)
Year-Futures (Jahresprodukte, die
Standardkonfiguration liegt bei bis zu sechs Jahren im Voraus; die deutschen,
italienischen und spanischen Stromfutures hat die Börse 2021 sogar auf bis zu
zehn Jahre erweitert)
Die Direktvermarktung von Strom ist heute aufgrund
des EEG für viele erneuerbare Energieanlagen verpflichtend, ausschlaggebend ist
die Anlagengröße. Der Gesetzgeber hat im EEG 2014 geregelt, dass ab 01.08.2014
Anlagen über 500 kW und ab 01.01.2016 Anlagen über 100 kW zur Direktvermarktung
verpflichtet sind. Kleinere Anlagenbetreibende können ihren Strom direkt
vermarkten sofern sie ihren Strom über einen Direktvermarktenden (also
Dienstleister*in) an der Börse vermarkten zu lassen. Beim direkten Vermarkten von
Strom verkauft der Betreibende der Strom erzeugenden Anlage (Photovoltaik,
Windkraft und Biogas) den damit erzeugten und eingespeisten Strom über einen
Direktvermarktenden an der Strombörse. Die im EEG verankerte Marktprämie
sorgt als Förderinstrument für einen Ausgleich der Differenz des realen
Börsenpreises zur vollen EEG-Förderung nach Einspeisevergütung. Damit soll ein
Anreiz für den Börsengang geschaffen werden. An sehr windigen und sonnigen
Tagen steht bisweilen mehr Strom zur Verfügung, als benötigt wird. Dann wird
der Strom mitunter sogar günstiger verkauft, als er produziert wurde, denn
abgenommen werden muss er trotzdem. So können auch negative Strompreise
zustande kommen, wie in der Abbildung für den 4./5. Juli 2024 beispielhaft dargestellt
ist. Batteriegroßspeicher sind heute eine geeignete technische Möglichkeit wirtschaftlichen Verlusten bei der Stromversorgung vorzubeugen und
Netzstabilität zu erreichen.
Abbildung:
Gewichteter Stromgroßhandelspreis (Day-Ahead-Börsenstrompreis) je Stunde
[€/MWh] resultierend aus der vortägigen Day-Ahead-Auktion – Datenlieferung
erfolgt spätestens 2 Stunden nach Handelsschluss.
(Quelle: Screenshot Visualisierung der Marktdaten auf www.smard.de,
In Europa besteht ein europäischer Binnenmarkt für Strom, das Europäische Verbundsystem. Die Anstrengungen für ein vollintegriertes Stromnetz werden zentral durch die TEN-E-Verordnung (Trans-European Networks for Energy) der EU geregelt. Für den Verbund in Europa zuständig ist der Verband European Network of Transmission System Operators for Electricity (ENTSO-E). In Europa existieren fünf Verbundsysteme aus Hoch- und Höchstspannungsleitungen. Die beiden Regional Groups (RG) Irland und Großbritannien bilden eigene Verbundnetze, ebenso wie skandinavischen Länder in der RG Nordic und die baltischen Länder in der RG Baltic. Das gesamte Kontinentaleuropa ist vernetzt in der Regional Group Continental Europe. Dazu gehören auch Marokko, Algerien, Tunesien und die Türkei. Alle fünf Verbundnetze sind via Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungen in Form von Seekabeln miteinander verbunden und können sich so gegenseitig unterstützen. Jedes Verbundsystem ist dadurch gekennzeichnet, dass darin alle Erzeugende, wie z.B. Kraftwerke synchron, also mit identischer Netzfrequenz (50 Hertz) und entsprechender Phasenlage, arbeiten. Zusammen ermöglichen sie den europäischen Synchronbetrieb. Die nationalen Übertragungsnetzbetreibenden (ÜNB) benötigen Transitkapazitäten für den grenzüberschreitenden Stromhandel. Diese - auch Grenzkuppelstellen genannten - Übergänge ermöglichen den ÜNB auf internationaler Ebene, Strom von einem nationalen Netz in das andere zu transferieren.
Beispiel
Im sogenannten Solargürtel Baden-Württembergs und Bayerns
wird beispielsweise in den Sommermonaten deutlich mehr Strom aus Solarpaneelen
gewonnen als vor Ort verbraucht werden kann. Tagsüber fließt der Überschuss zu
Pumpspeicherkraftwerken in Österreich und in die Schweiz. Umgekehrt kann es in
der Grenzregion zwischen Deutschland und Frankreich in Zeiten knapper Solar-
und Windenergie zu einem Import von Atomstrom aus Frankreich kommen.
Eine gute Übersicht über die aktuell produzierten Mengen an Erneuerbarer Energie liefert die Webseite Electricitymap. Dort kann tagesaktuell die erzeugte Energie und damit verbundene CO2-Intensität abgelesen werden. Wichtig ist beim Studium, es wird zwischen CO2-arm (z.B. Atomkraft) und regenerativer Energie in der interaktiven Karte unterschieden. (https://app.electricitymaps.com/zone/DE?wind=false&lang=de).