Kurs: Der menschengemachte Klimawandel: Ursachen, Effekte und Lösungswege | OnCourse UB
Lektion 7
Dilemmapotenzial der unterschiedlichen Entscheidungstypen
Einstieg
Es ist nun schon häufiger angeklungen, dass zum einen die Gegenwartsentscheidungen in einen Widerspruch zu den Zukunftsentscheidungen geraten können, zum anderen die Selbst-Entscheidungen zu den Entscheidungen für andere. Die daraus entstehenden möglichen Dilemmata wollen wir uns in dieser Lektion näher ansehen.
Die nachfolgende Grafik verdeutlicht die Zusammenhänge noch einmal detaillierter:
Wo entsteht das Dilemma genau?
Der Widerspruch oder das Dilemma entsteht dadurch, dass immer mehr notwendige Wirkungen aus den begrenzten vorhandenen Gegenwartsressourcen erzeugt werden müssen. Die moderne Managementlehre ist intensiv damit beschäftigt zu begründen, warum es für Unternehmen wichtig ist, sich strategisch zu positionieren, um sowohl das Morgen (dann) als auch das Umfeld (andere) besser in den Blick zu bekommen (Remer, A. (2004): Management. System und Konzepte. Bayreuth). Zukunft und Umfeld können für Unternehmen in einer komplexen Moderne sehr bedrohlich werden, wenn ihre Eigenschaften und ihre Entwicklungen nicht beobachtet und mitgestaltet werden. In der Konsequenz müssen Führungskräfte anfangen, alle vier Entscheidungstypen gleichzeitig einzusetzen und die dabei entstehenden Trade-offs systematisch zu bewältigen.
Trade-Offs
Trade-Offs bezeichnen einen Zielkonflikt zwischen mindestens zwei gegenläufigen Zielen.
Diese Trade-offs entstehen dadurch, dass im Zeitpunkt der Entscheidung für die Verfolgung einer Präferenz die vorhandenen knappen Mittel automatisch den anderen Präferenzen entzogen werden. Die Mittel reichen selten aus, um alle Präferenzen zu bedienen, obwohl die Wirkungen für das Überleben des Unternehmens wichtig sein können. Dieses Zweck-Mittel-Dilemma ist in der Betriebswirtschaftslehre nicht neu. Während es keinen Zweifel daran gibt, dass heutige Zwecke gewollt sind, ist dies für morgige Zwecke nicht so einfach zu behaupten. In dem Moment, in dem die Jetzt-für-dann-Präferenzen konfliktär werden zu den Jetzt-für-jetzt-Präferenzen, müssen sie priorisiert werden. In diesem Akt der Priorisierung zeigt sich die Ernsthaftigkeit des Willens, auf heutige Zwecke zu verzichten, um morgige möglich zu machen.
Priorisierung von Jetzt-für-jetzt-Entscheidungen
Die Barwertmethode der Investitionsrechnung und die Akzeptanz der Abdiskontierung der Zukunft haben in den Wirtschaftswissenschaften zu einer deutlichen Priorisierung der Jetzt-für-jetzt-Entscheidungen geführt. Gefördert wird diese Priorisierung vermutlich auch durch die zunehmende Komplexität des Wirtschaftssystems, welche es für entscheidende Personen und Teams immer schwieriger macht, zukünftige Wirkungen auf heutige Ursachen kausal beziehen zu können, um sie im Sinne einer Kosten-Nutzen-Betrachtung entscheidbar zu machen. Deshalb werden eben auch Amortisationsfristen immer kürzer gesetzt.
Wie steht es um Jetzt-für-dann-Entscheidungen?
Der Blick wendet sich damit auf die Frage, ob Jetzt-für-dann-Entscheidungen auch wirklich gewollt sind. Was könnte dieses Wollen von Entscheidungsträger:innen auslösen oder verstärken?
Familienunternehmen vs. Kapitalgesellschaften
Interessanterweise findet sich häufig die Aussage, dass nachhaltiges Handeln seit langem eine ungeschriebene, aber gelebte Praxis in Familienunternehmen sei; diese seien niemals nur auf die Erzielung bloß kurzfristiger Erfolge ausgerichtet, sondern immer schon auf den dauerhaften Bestand (Oetker, A. (2010) ):
Nachhaltigkeit in Familienunternehmen. In Krüger, W./von Schubert, B./Wittberg,
V. (Hrsg.): Die Zukunft gibt es nur einmal.
Plädoyer für mehr unternehmerische Nachhaltigkeit. Wiesbaden, S. 61- 74).
Diese Selbstzuschreibung ist auf den ersten Blick verständlich, weil Familienunternehmen darauf angelegt sind, langfristig Einkommen für die Eigentümer:innen zu erwirtschaften. Es ist deshalb rational für die Eigentümer:innen, zugunsten heutiger Gewinne (Jetzt-für-jetzt-für-selbst-Entscheidungen) nicht die Grundlagen zukünftiger Gewinne zu verbrauchen. Weil heutige und zukünftige Einkommen derselben Familie zufließen, so die Vermutung, ist das Wollen größer, Jetzt-für-dann-für-selbst-Entscheidungen zu treffen, die heutige Einkommen geringer ausfallen lassen.
Da in Kapitalgesellschaften die Einkommensempfänger:innen schneller wechseln (Führungskräfte und Aktionär:innen) ist dort das Wollen nicht so groß, zugunsten zukünftiger Einkommen auf heutige Einkommen zu verzichten, wäre dann die logische Schlussfolgerung.
Wertesysteme der Entscheidungsträger:innen
Eigentumsverhältnisse beeinflussen sicherlich die Bereitschaft, Jetzt-für-dann-Entscheidungen zu treffen, sie reichen als Erklärung aber nicht aus. Vielfach werden als weitere Erklärung die Wertesysteme der entscheidenden Personen und Teams angeführt. Hier öffnet sich die Türe für die Diskussion um das ethische Verhalten der Führungskräfte, also ihre Bereitschaft zu rücksichtsvollerem Verhalten.
Rücksicht heißt aus ethischer Perspektive, die Hauptwirkungen des eigenen Handelns nicht unter Inkaufnahme erheblicher Nebenwirkungen auf Mensch und Natur zu erzielen.
Das Dilemmapotenzial der verschiedenen Entscheidungstypen
Jetzt-für-jetzt-für-selbst-Entscheidungen:Zu viele Zwecke treffen auf knappe Mittel Beispiel: Investiere ich in ein teureres umweltfreundlicheres Auto oder in einen Sommerurlaub? Beides kann ich mir nicht leisten.
Jetzt-für-jetzt-für-andere-Entscheidungen: Entweder meine Zwecke oder die der Anderen
Beispiel: Spende ich mein Geld oder gebe ich es lieber für mich aus?
Jetzt-für-dann-für-selbst-Entscheidungen: Sowohl die Funktionsfähigkeit von heute sicher als auch in das Morgen investieren Beispiel: Ich möchte in meine Altersvorsorge investieren, aber gleichzeitig auch noch genug Geld für mein Leben jetzt übrig haben.
Jetzt-für-dann-für-andere Entscheidungen: Sowohl meine Optionen sichern als auch die der Anderen
Beispiel: Wir schaffen neue Überflutungsflächen für Starkregen, aber die aktuellen Lebensräume müssen auch erhalten bleiben.
Die besondere Herausforderung im dilemmabezogenen Entscheidungsprozess ist die Bewältigung der Trade-offs, also der Umgang mit den Wirkungen, die nicht erreicht werden können oder die gar schlechter werden. Das Nichtzuerreichende ist nicht einfach eine Nichtwirkung, die keiner merkt; es sind fast immer Menschen betroffen, die mit weniger Ressourcen alte Zwecke erreichen müssen. Die Legitimation der Trade-offs durch die Betroffenen ist daher die größte Herausforderung im dilemmabezogenen Entscheidungsprozess. Je nach Entscheidungstyp unterscheiden sich der Legitimationsinhalt und der Legitimationsaufwand. In Jetzt-für-jetzt-für-andere-Entscheidungen das Erwirtschaftete umzuverteilen, betrifft im Wesentlichen die Eigentümer:innen. Ihre Bereitschaft dazu wird abgesehen von ihrer Werthaltung sicherlich auch von dem schon vorhandenen Vermögen abhängen.
Jetzt-für-jetzt-für-selbst-Entscheidungen: Die anderen tragen den Trade-off einer Externalisierung von Kosten
Beispiel: Ich entscheide mich, in die effizientere Energieversorgung meines Eigenheims zu investieren, aber das bedeutet, dass ich weiter mein Diesel-Fahrzeug fahre, das für die Umwelt zunehmend mehr Belastung bedeutet.
Jetzt-für-jetzt-für-andere-Entscheidungen: Andere bekommen einen Ausgleich für meine Externalisierungen
Beispiel: Ich kaufe Produkte, die zugleich eine Spende für Naturschutzprojekte oder Sozialprojekte beinhalten und bezahle den höheren Preis.
Jetzt-für-dann-für-selbst-Entscheidungen: Für das Jetzt stehen weniger Mittel zur Verfügung
Beispiel: Ich zahle in eine private Rentenversicherung ein, aber das bedeutet, dass mir im Monat eine beträchtliche Summe fehlt, um meine Freizeit zu gestalten.
Jetzt-für-dann-für-andere Entscheidungen: Zwecke tragen die Last, weil sie sich ändern müssen
Beispiel: Wegwerfbesteck und Teller werden wegen ihres hohen Ressourcenverbrauchs im Vergleich zu ihrem Nutzen verboten. Die Take-away-Versorgung wird aufwändiger.
Nachhaltigkeitskontext
Die größte Herausforderung liegt in der Legitimation der Trade-offs, die durch Jetzt-für-dann-für-andere-Entscheidungen entstehen. Eine Investition in Generationengerechtigkeit bedeutet letztlich, Wirtschaftsbedingungen zu schaffen, die über viele Generationen hinweg funktionieren können. Dafür brauchen Unternehmen natur- und gesellschaftsverträglichere Zwecke, über die Einkommen, Beschäftigung, Produkte, Dienstleistungen und Sinn mit einem Bruchteil der heute verwendeten materiellen und immateriellen Ressourcen und der heute erzeugten ökologischen und sozialen Nebenwirkungen produziert werden. Social Entrepreneure und Beteiligte der Gemeinwohlökonomie haben sich auf diesen Weg begeben (Felber, C. (2011): Gemeinwohlökonomie, Wien.).
Jetzt-für-jetzt-für-selbst-Entscheidungen:
Höchster
Nutzenbeitrag legitimiert die Entscheidung Beispiel: Wähle bei vergleichbarer
Leistung immer den geringsten Preis (Preisvergleiche im Internet).
Jetzt-für-jetzt-für-andere-Entscheidungen:
Die
Eigentümer legitimieren die Umverteilung des Erwirtschafteten Beispiel: Unternehmen spenden für
Naturschutz- oder Sozialprojekte und verwenden dafür ein Teil ihrer Gewinne.
Jetzt-für-dann-für-selbst-Entscheidungen:
Eigentümer
legitimieren die Investitionen in die Substanzerhaltung Beispiel: Unternehmen bauen eine
Versorgung mit Wind- und Photovoltaik-Technologien auf, die sich erst in vielen
Jahren rechnen.
Jetzt-für-dann-für-andere
Entscheidungen: Eigentümer und Gesellschaft legitimieren die
Neufassung der Zwecke (Gemeinwohlorientierung)
Beispiel:Unternehmen stellen die
Produktion von Produkten aus fossilen Rohstoffen ein, die nur einen kurzen
Alltagsnutzen haben. So reduzieren diesen den CO2 Ausstoß.