Kurs: Der menschengemachte Klimawandel: Ursachen, Effekte und Lösungswege | OnCourse UB

  • Lektion 5

    • Jetzt-für-dann-für-selbst-Entscheidungen

      Einstieg

      Gesunde Lebensweise, Altersvorsorge, … dies sind typische Beispiele für Jetzt-für-dann-für-selbst-Entscheidungen. Dieser Entscheidungstyp wird von den meisten sicherlich als das Grundmuster einer Langfristentscheidung betrachtet. Es müssen heute Mittel eingesetzt werden, um erst in späteren Jahren eine gewünschte Wirkung hervorzurufen.


      Im Unternehmenskontext treffen wir bei diesem Entscheidungstyp das Phänomen des „Heroisierens“. Lassen Sie uns schauen, was es damit auf sich hat. Doch zunächst einige Beispiele für Jetzt-für-dann-für-selbst-Entscheidungen...

      Beispiel: Gesundheitsbereich

      Insbesondere der Gesundheitsbereich macht schnell deutlich, dass es bei diesem Entscheidungstyp nicht alleine um die Investition in eine zukünftige Wirkung geht, sondern gerade auch über das Unterlassen bestimmter Ursachen mit schädlichen Wirkungen auf das Morgen entschieden werden muss. 

      Rücksicht auf die Eigengesetzlichkeiten des menschlichen Körpers erfordert zum einen das Unterlassen von extremen Belastungen durch ein Zuviel an Arbeit, Sport, Ernährung, Stress usw.; zum anderen bedeutet Gesunderhaltung eine Investition in medizinische Vorsorge, gesunde Ernährung, Bewegung und ausreichenden Schlaf. Alle Maßnahmen im Sinne heutiger Ursachen werden unternommen mit dem Blick auf die Gesundheit in vielen Jahren.

      Beispiel: Altersvorsorge

      Auch die finanzielle Altersvorsorge ist ein gutes Beispiel für eine Jetzt-für-dann-für-selbst-Entscheidung. Heute muss auf Konsum verzichtet werden, um morgen eine angemessene Rente zu bekommen. Bezeichnenderweise hat der Erfinder der Altersvorsorge, Otto von Bismarck, diesen Verzicht der heutigen Konsummöglichkeit für eine positive Wirkung im Alter gesetzlich vorgeschrieben. Dies zeigt bereits, wie schwierig es Menschen fällt, heute Mittel einzusetzen, um in 20-50 Jahren eine positive Wirkung für sich selbst zu bekommen, wenn diese Mittel heute schon begrenzt sind.

      Beispiel: Bildung

      Investitionen in Bildung haben einen ähnlichen Zeithorizont und sind daher im bestimmten Maße auch gesetzlich geregelt (man denke beispielsweise an die Schulpflicht). Ein Studium hat einen Wirkungshorizont von 3-5 Jahren; Menschen investieren Zeit und Aufwand, weil am Ende die Optionen auf interessante Tätigkeiten und höhere Einkommen mit relativ hoher Gewissheit locken, ohne dass diese Wirkung ganz konkret bestimmt werden kann.



      Nachhaltigkeitskontext


      Reflexionsfrage

      Bevor Sie unsere Überlegungen öffnen, stellen Sie doch einmal Ihre eigenen an: Wo könnte man Jetzt-für-dann-für-selbst-Entscheidungen im Nachhaltigkeitskontext antreffen?

      Im Nachhaltigkeitskontext gehören die positiven Entwicklungen der Bio-Lebensmittelbranche zu den Jetzt-für-dann-für-selbst-Entscheidungen, weil die meisten Menschen Bio-Lebensmittel vermutlich nicht wegen der Erhaltung der Natur kaufen, sondern wegen der Gesunderhaltung des eigenen Körpers. 

      Auch die Investitionen in Biodiversität erfolgen häufig mit klarem Blick auf die Verwertungsmöglichkeiten der Pflanzeigenschaften für die heute lebende Generation. Unternehmen sichern sich künftige Optionen auf biologisches Problemlösungspotenzial.



      Design der Entscheidungen

      Die Beispiele haben schon verdeutlicht, dass die Kategorie „dann“ den wesentlichen Unterschied dieses Entscheidungstyps darstellt. Entscheider:innen investieren heute Zeit, Geld, Material und Aufmerksamkeit, um viele Jahre später (dann) eine positive und gewünschte Wirkung auf sich selbst zu erhalten.

      Zur Unterscheidung zu den Jetzt-für-jetzt-für-selbst-Entscheidungen wird davon ausgegangen, dass die Wirkung frühestens zwei Jahre nach dem Einsatz der Mittel eintritt; die Dauer des Wirkungsverlaufes kann dabei ganz offen sein. Ganz allgemein geht es bei diesem Entscheidungstyp darum, eigene Vorteile oder Optionen in der Zukunft zu sichern und Wahlmöglichkeiten zu erhalten.

      Dieser Typ von Langfristentscheidungen wird bislang in der Managementlehre selten systematisch untersucht. Die Entscheidungstheorie ist für Rational Choice-Entscheidungen darauf angewiesen, dass Kosten und Nutzen einer Entscheidung zeitlich relativ nah beieinander liegen. Klassischer Inhalt solcher Entscheidungen sind Wahlakte des Konsums: Was soll ich kaufen, verbrauchen, essen, anziehen, im Fernsehen betrachten usw.?

      Tritt der Nutzen in der Zukunft ein, müssen mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsberechnungen Angaben gemacht werden, welche Handlungsalternative mit welcher Wahrscheinlichkeit eintreten wird. Die nicht zu beseitigende Offenheit der Zukunft und damit der Ungewissheit ihres Verlaufes lässt folgende Reaktionen plausibel erscheinen:

      Aus möglichst vielen Jetzt-für-dann-für-selbst-Entscheidungen durch die Bevorzugung kurzfristiger Ziele Jetzt-für-Jetzt-für-selbst-Entscheidungen machen. Die Kunst hierbei ist es, den Blick auf den Horizont zu behalten und gleichzeitig aus einem großen Problem viele kleine handhabbare zu machen. Das Motto könnte lauten: Zukunft beobachten und Gegenwart gestalten.

      Wenn sich dies nicht realisieren lässt, lassen sich durch Szenarien unterschiedliche Gestaltungsoptionen schaffen und offenhalten. Wenn man die bekannten Best-, Real- oder Worst-Case-Szenarien schafft, ist man mehr mit dem Selbst in der Entscheidung beschäftigt (eben gut oder schlecht für mich); wenn man unterschiedliche Zukünfte schafft, entsteht ein offener Beobachtungsraum für die im Werden befindliche Zukunft.

      Aus Jetzt-für-dann-für-selbst-Entscheidungen durch Kooperationen Jetzt-für-dann-für-viele-Entscheidungen machen, indem Ziele gemeinsam formuliert und Mittel zu ihrer Erreichung zusammengelegt werden von denjenigen, die ähnliche Ziele in der Zukunft haben. Insbesondere im Nachhaltigkeitskontext zeigt sich, dass viele Unternehmen gemeinsame Zukunftsprobleme haben werden: die Versorgung mit materiellen und immateriellen Ressourcen. Die Ressourcenquellen können nur durch ressourcensichernde Kooperationen erhalten werden (Liebscher, A.K. (2013): Betriebliche Ressourcensicherung durch Nachhaltigkeitskooperation. Berlin).

      Die kritischste Phase des Jetzt-für-dann-für-selbst-Entscheidungstyps ist sicherlich die Alternativensuche. Welche Alternative zur Lösung des Problems hat den geringsten Unsicherheitsgrad und die abgesichertste Kausalität? Welche Ursachen sichern die künftigen Wirkungen? 

      Diese Phase ist deshalb so heikel, weil die komplexe Kausalität zwischen den Ursachen heute und den Wirkungen morgen bei Mittelknappheit leicht dazu führt, den ganzen Entscheidungsprozess abzubrechen mit dem Verweis darauf, dass das Problem nicht lösbar ist oder durch andere zu lösen ist.

      In den Jetzt-für-jetzt-Entscheidungsprozessen liegt der Mangel an Begründungen im Moment des Wahlaktes zwischen gleichwertigen oder nicht vergleichbaren Handlungsalternativen. In den Jetzt-für-dann-Entscheidungsprozessen kommt noch ein weiterer Mangel hinzu: der Mangel an gesicherten Kausalitäten. Die Offenheit der Zukunft macht es notwendig mit Wahrscheinlichkeiten zu agieren, ob eine bestimmte Ursache auch die gewünschte Wirkung in der Zukunft zeigen wird. In einer komplexen Welt gibt es zu viele Störpotenziale auf den Wirkungsprozess, weil letztlich durch Menschen und Institutionen immer mehr Ursachen in die Welt gebracht werden. Es ist heute auch mit wissenschaftlichen Methoden kaum vorhersagbar, in welchem Ausmaß Innovationen die erhofften Wirkungen zeigen werden (z.B. bestimmte Produkte verkaufbar sind), heute angelegte Sicherungen zukünftiger Optionen auch erreicht werden (Entwicklung ausgewählter Technologien) oder immaterielle Investitionen in Bildung, Vertrauen, Legitimation und Rechtssicherheit fruchtbar sein werden. Zwischen Ursache und langfristiger Wirkung entsteht mithin eine Ungewissheitszone, die es gilt auszuhalten. Langfristentscheidungen setzen folglich voraus, dass die Entscheider:innen sich über den Mangel an gesicherten Kausalitäten hinwegsetzen.


      Im Moment der Entscheidung müssen also Wahrscheinlichkeiten bewertet werden, mit denen die verschiedenen Ursache-Wirkungsketten belegt worden sind. Um überhaupt legitimierte Entscheidungen zu bekommen, kann der Mangel an verlässlichen Kausalketten überspielt werden, indem geringe Wahrscheinlichkeiten überhöht werden und einigermaßen Wahrscheinliches als Sicherheit verkauft wird (Ortmann (2011), S. 63). Ähnliches gilt auch für die Tatsache, dass bei den Jetzt-für-dann-für-selbst-Entscheidungen immer Mittel für zukünftige Wirkungen zur Verfügung gestellt werden, die den gewünschten Jetzt-für-jetzt-für-selbst-Wirkungen entzogen werden.

      Häufig treffen bei diesem Entscheidungstyp ritualisierte, aber schwache Gründe für heutige Wirkungen (mehr Gewinn, mehr Wettbewerb, mehr Umsatz, mehr Marktanteil usw.) auf überhöhte Wahrscheinlichkeiten für zukünftige Wirkungen. Um in diesem Abwägungsprozess nicht dauerhaft der Logik der Abdiskontierung der Zukunft zu unterliegen (Wirkungen heute sind nützlicher als Wirkungen morgen), muss das Engagement für zukünftige Wirkungen heroisiert werden: 

      Dieser Prozess des Heroisierens erklärt vielleicht auch, warum bei vielen strategischen Marketingentscheidungen zumeist irgendwelche Superlative als Begründung mitgeliefert werden: Es geht darum, der Größte, Beste, Erfolgreichste oder Innovativste zu sein.


      Wir fassen also zusammen: