Kurs: Der menschengemachte Klimawandel: Ursachen, Effekte und Lösungswege | OnCourse UB

  • Lektion 3

    • Jetzt-für-jetzt-für-selbst-Entscheidungen

      Einstieg

      Was ziehe ich an? Was schaue ich im Fernsehen? Was biete ich den Kund/innen? Welchen Lieferanten welche ich aus? Gewähre ich Mitarbeitenden einen Tag Urlaub? … 

      Jetzt-für-jetzt-Entscheidungen sind alle die Auswahlakte, in denen die beabsichtigten Wirkungen auf die Entscheider/innen relativ rasch eintreten sollen. Dazu gehören alle Entscheidungen mit sofortiger Wirkung. Grundstruktur dieser Entscheidungen ist der relativ kurze Zeithorizont zwischen der Zuweisung von Mitteln und dem Eintreten der Wirkung für die Entscheider/innen. Das gilt folglich für fast alle Konsumentscheidungen. Auch alle Entscheidungen über Konsumgüter mit einem langanhaltenden Nutzen sind Jetzt-für-jetzt-Entscheidungen, weil die Nutzung sofort beginnt.

    • In dem Maße, in dem Unternehmen auch ihre Investitionsentscheidungen mit einer sehr kurzen Amortisationsfrist versehen, werden auch diese zu Jetzt-für-jetzt-Entscheidungen. Je näher das Jetzt der Wirkung an das Jetzt der Mittelauswahl herankommt, umso besser sind die Wirkungen in der Zukunft auch absehbar. Die zunehmende Dynamik, die Unternehmen schaffen und denen sie ausgesetzt sind, äußert sich im Entscheidungsprozess darin, dass selbst in einem zweijährigen Wirkungsprozess so viele Störungen auftreten können, dass die kalkulierte Wirkung später oder in vermindertem Ausmaß auftritt:

      • Bei Investitionsentscheidungen findet der kalkulierte Geldrückfluss nicht im gewünschten Maße statt.
      • Bei Entscheidungen im Organisationskontext findet die gewünschte Verbesserung der Arbeitsabläufe nicht statt.
      • Bei Entscheidungen im Bildungsbereich finden die angestrebten Qualifikationswirkungen nicht statt.

      Wir erinnern uns...

      Um einen pragmatischen Unterschied zu markieren, werden unter Jetzt-für-jetzt-für-selbst-Entscheidungen alle die Auswahlakte verstanden, bei denen die Festlegung der Mittel heute und die Wirkung innerhalb der nächsten zwei Jahre stattfinden soll (ein nahes Dann). 

      Die Wirkungen betreffen dabei die Zwecke der Entscheider:innen (selbst): Die verfügbaren Ressourcen werden für die gewählten Zwecke der Institution oder der Entscheider:innen eingesetzt. Der Inhalt der angestrebten Wirkungen dieses Entscheidungstyps ist zumeist ein konkreter Nutzen, durchaus gedacht als Befriedigung eines vorhandenen Bedürfnisses (z.B. Konsum) oder eine organisatorische Notwendigkeit. Ganz allgemein könnte man sagen, dass es um die kurzfristige Zweckerreichung von Individuen und Institutionen geht: Es soll die Funktionsfähigkeit des Systems aufrechterhalten und maximiert werden. Entschieden wird damit über Ressourcen (Zeit, Geld, Material, Aufmerksamkeit) zur Erreichung von direkten Zielen. Die kritischste Phase im Entscheidungsprozess ist deshalb vermutlich die Phase der Bewertung der Handlungsalternativen: Welche Alternative hat die beste Kosten/Nutzen-Relation, führt also zu einem Nutzenmaximum? Die präskriptive Entscheidungstheorie kann hierbei sehr hilfreich sein (Laux, H. (2007). Entscheidungstheorie. Berlin: Springer Verlag).

      Und wenn es mehr als nur eine gute Entscheidung gibt?


      Erinnern Sie sich an die Definition der „präskriptiven Entscheidungstheorie“? Sie untersucht, wie sich rationale Entscheidungen treffen lassen, um Empfehlungen für „vernünftige Entscheidungen“ geben zu können. Aber die präskriptive Entscheidungstheorie zeigt auch ein ganz grundlegendes Problem auf, wenn die Handlungsalternativen nicht so bewertet werden können, dass eine Alternative eindeutig das beste Kosten/Nutzen-Verhältnis aufweist. Was passiert, wenn mehrere Handlungsalternativen als gleichwertig angesehen werden? 

      Diese häufig vorkommende Gleichwertigkeit oder auch Nichtvergleichbarkeit von Handlungsalternativen verweist noch einmal auf die Grundlogik des Entscheidens. Ein tatsächlicher Wahlakt im Sinne des Festlegens einer der möglichen Handlungsalternativen ist relativ unproblematisch, wenn zuvor ein Verfahren gewählt wurde, welches die Handlungsalternativen in eine eindeutige Rangfolge bringen konnte.


      Egal, wie viele Grundannahmen gemacht werden mussten (was ja auch wieder Entscheidungen sind), um diese Rangfolge zu erzeugen, am Ende hat das Verfahren entschieden, also die Alternativen getrennt und in eine Reihenfolge gebracht. Wenn Handlungsalternativen gleichwertig oder vergleichbar sind, sind wirkliche Entscheidungen nötig! Dann kommt im Moment des Wahlaktes, des Schnittes in die Welt, zwangsläufig ein Moment der Willkür und des Dezisionismus (Ortmann (2011): Die Kunst des Entscheidens. Weilerswist, S. 21).

      Dezisionismus

      Der Terminus „Dezisionismus“ ist von „Dezision“ (lat. für Entscheidung) abgeleitet. Dezisionismus ist in diesem Sinne eine Theorie, die die Entscheidung und die Entscheider:innen in den Mittelpunkt der Überlegungen stellt. Sie hält weniger den Inhalt und die Begründung einer Entscheidung für wichtig als die Entscheidung an sich. Die Theorie geht davon aus, dass es keine allgemein verbindlichen Begründungen für Werte oder moralische Positionen gibt. Aus diesem Grunde sind die Entscheidungen von Menschen für diese oder jene Handlung letztlich nicht völlig begründbar und folglich mit einer Restmenge an Willkür versehen. Entscheiden heißt dann, sich über den Mangel an guten Gründen hinwegzusetzen und trotzdem den notwendigen Wahlakt durchzuführen.

      Da aber gerade im betrieblichen Kontext alle Entscheidungen begründet werden müssen, weil mit ihnen Mittel einer Handlungsalternative zugewiesen werden und folglich anderen vorenthalten werden, tauchen einige Herausforderungen auf. Die wesentlichen haben mit der Kontingenz von Entscheidungen und mit der Rolle der Entscheider:innen zu tun. Kontingenz bedeutet, dass im Moment der Wahl auch eine andere Handlungsalternative hätte festgelegt werden können, die vielleicht das Problem ähnlich gut hätte lösen können.

      Entscheiden ist Transformation von Kontingenz

      Entscheiden ist mithin Transformation von Kontingenz (Luhmann, N. (1988): Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a.M. S. 170), also die Tatsache, dass es auch anders ginge oder das „So-und-auch-anders-möglich-sein“ in ein „Das-ist-es-jetzt“ zu überführen. Wenn dann aus dem Unentscheidbaren ohne zweifelsfreie Begründungen Entschiedenes gemacht worden ist, muss die Richtigkeit der anderen möglichen, aber nicht gewählten Alternativen aus dem Diskussionsprozess der Beteiligten verschwinden, obwohl sie als Möglichkeit weiterhin bestehen bleiben.

    • Abwertung der Opposition

      Politische Debatten erfolgen zumeist genau in dieser Logik. In einer komplexen und kontingenten Welt hat die Opposition immer auch Recht; die eigene Klarheit und Entschlussfreudigkeit können dann nur hervorgehoben werden, indem die Richtigkeit der Opposition unsachlich abgewertet wird. Dieses Spiel kostet allen Beteiligten viel Kraft und Energie, besonders dann, wenn der Handlungsdruck hoch und die Begründungen schwach sind.

      Neben der Bewältigung von Kontingenz verweist der Dezisionismus auf die Bedeutung der entscheidenden Person. Es ist die Persönlichkeit des Menschen oder die Eigenart des Gremiums, welche den Umgang mit dem Begründungsmangel steuert. Je authentischer die Person oder das Gremium, umso eher werden vermutlich schwache Begründungen akzeptiert. Daher gewinnen Leadership-Dispositionen im Vergleich zu Management-Dispositionen zunehmend an Bedeutung (Hußmann, G. (2015): Leading Manager for Sustainability. Aachen).



    • Was bedeutet das für Entscheidungen im Nachhaltigkeitskontext?


      Für Entscheidungen im Nachhaltigkeitskontext bedeutet dies, dass Unternehmen

      • in viele verschiedene Ressourcenquellen investieren,
      • viele unterschiedliche Nebenwirkungen abmildern und
      • unterschiedliche Öko-Effizienz-Maßnahmen starten können. 

      Da aber die Budgets für diese Entscheidungen immer begrenzt sind, wird hier eine Auswahl getroffen, die auch anders hätte ausfallen können.
      Stakeholderdialoge dienen dann dazu, diese Auswahl zu legitimieren und den Mangel an Begründungen zu reduzieren, indem andere Bewertungen hinzugezogen werden.
      Auch das neue Instrument der Wesentlichkeitsprüfung in der Nachhaltigkeitsberichterstattung nach GRI-Richtlinien lässt sich als ein Hebel interpretieren, den Begründungsmangel zu reduzieren, indem eine Konsensfiktion mit den Stakeholdern hergestellt wird.