Kurs: Systemdenken und Nachhaltigkeit in Virtual Reality | OnCourse UB

  • Lektion 3

    Ein erweitertes Immersionsverständnis - Was ist Presence?

    • Lern-/Erkundungsziel von Lektion 3:

      In dieser Lektion erfahren Sie, welche Immersionsgrade es gemäß der technischen Immersionsdefinition gibt. Anschließend erkunden wir, was es außer der Immersion (als technische Komponente) braucht, um Nutzer*innen versinken zu lassen. Hierfür lernen Sie den Begriff Presence kennen. Genauso wie ausgewählte weitere Konzepte, die das rein technische Immersionsverständnis anreichern sollen.


      Treppe, Architektur, Drinnen

      @pixabay - kostenlose Nutzung


    • Der Immersionsprozess bedient sich einer Reihe von technischen Illusionen. Diese helfen uns in fernen Welten einzutauchen. Wie kann es aber sein, dass wir uns durchaus in den Geschichten verlieren, die wir in Büchern lesen? Auch durch das Hören von Hörspielen fühlen wir uns hin und wieder in eine andere Welt versetzt – es entstehen gar visuelle Bilder und das völlig ohne visuellen Input. Das liegt daran, dass auch hier eine Art der Immersion zu wirken scheint. 

      Immersion ist schließlich nicht ein Zustand, sondern der Prozess, der uns in den Zustand des Versunkenseins versetzt.

      Sicherlich ist es ein Unterschied, ob wir ein Buch lesen oder eine VR-Brille tragen. Auch klar ist, dass die Stimulationen von Sinnen nicht bei jedem Menschen gleichermaßen zuverlässig ihren Zweck erfüllen. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit eines immersiven Tauchgangs in den meisten Fällen höher, wenn eine VR-Brille getragen wird, wie als wenn „nur“ ein Buch gelesen wird. Warum das so ist, wollen wir uns nun anschauen.
    • Immersionsgrade:

      Um Immersionsgrade bestimmen zu können, soll eine Kategorisierung betrachtet werden. Die folgende Tabelle ist an die Befunde eines Rahmenwerkes von Slater & Wilbur aus dem Jahre 1997 angelehnt. (Die Kriterien „Interaktion“ und „Persistenz“ wurden ergänzt in Anlehnung an Lattemann et al., 2009).


       


    • Text zur Audiodatei zum NachlesenWenn der Immersionsgrad eines Mediums bestimmt werden soll, können die sechs Kategorien Umfang, Isolation, Umgebung, Lebendigkeit, Interaktion und Persistenz herangezogen werden. In der Tabelle wurde das Konsumieren eines 2D Videospiels am PC mit dem Tragen einer VR-Brille (Head Mounted Display – kurz HMD) verglichen. Hier bekommen wir interessante Einblicke in die Facetten der Immersion und können einschätzen, wo genau die Stärken der Immersion durch das Tragen von VR-Brillen liegen. Beispielsweise sind VR-Brillen bisher noch nicht so leistungsfähig in der Darstellung wie PC’s oder Videospielkonsolen (Kategorie: Lebendigkeit). Der Grund hierfür ist, dass die gesamte Rechenleistung innerhalb der vergleichsweisen kleinen Brille verbaut sein muss, während PC’s und Videospielkonsolen dafür deutlich mehr Platz beanspruchen können. Dafür wiederum umgeben die virtuellen Welten der VR-Brillen die Nutzer*innen komplett, weshalb der Eindruck entsteht, man würde sich in diesen Welten befinden (Kategorie: Umgebung). Bei Betrachtung der fünf Kategorien des Immersionsgrades, können wir bestimmen, wie immersiv ein Medium aus technischer Sicht ist. Wie kann es aber sein, dass Person A mehr in ein Buch versinkt als in die virtuellen Welten der VR-Brillen während Person B dies genau gegenteilig wahrnimmt? Der technische Immersionsgrad ist eben nicht immer allein ausschlaggebend für eine erfolgreiche Immersion. Je mehr Kategorien des Mediums erfüllt sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir in das Medium eintauchen können. Dennoch bleiben externe Faktoren wie Konzentrationsfähigkeit, gesundheitliches Wohlbefinden, physisches Umfeld und sonstige persönliche Präferenzen davon unbetroffen. Diese haben schlussendlich ebenfalls eine große Auswirkung auf die Immersion.
       
    • Wenn wir einen immersiven Tauchgang unternehmen, fühlen wir uns als Teil der virtuellen Realität. Salopp gesagt sind wir in einer anderen Dimension/Welt. Wie nennt man diesen Zustand, in den uns die Immersion befördert? Hierfür gibt es abgesehen vom Immersionsbegriff einige Vorschläge aus der Wissenschaft, welche im wir im Folgenden genauer betrachten wollen.


      Presence:

      Zunächst einmal geraten wir an den Begriff „Presence“, welcher von Slater & Wilbur im Jahre 1997 von Immersion unterschieden wurde. Während der Prozess der Immersion ein Phänomen ist, welches durch die Hinzunahme der fünf Kriterien weitgehend objektiv einschätzbar ist, wird das Gefühl einer „Presence“ von Person zu Person unterschiedlich wahrgenommen - Es geht also um ein subjektives Empfinden. 

      Presence ist der Zustand des Bewusstseins, in welchem sich der*die Nutzer*in als Teil einer anderen Umgebung fühlt. Mit einfachen Worten: Wir schauen nicht hinein, sondern wir sind drin  - wir sind selbst ein Teil davon. Insofern also: Immersion als versinken und Presence als das Versunkensein. Diese Unterscheidung wird in der Wissenschaft weitgehend akzeptiert. 

      Wie können wir das Versunkensein beschreiben? Folgendes Beispiel soll aufzeigen, wie dieselbe technische Immersion zu unterschiedlichen Wahrnehmungen einer presence führen könnte.

    • ...Und jetzt?

      Die beiden Beispiele sollen aufzeigen, dass dieselben technischen Immersionsbedingungen zu ganz und gar anderen Gefühlen und Wahrnehmungen führen können. Etwas unfair ist der Vergleich deshalb, weil Ihnen im Beispiel A das immersive Raumerleben nicht allzu gut bekam und Sie die Übelkeit überkommen hat. Das ist von Person zu Person unterschiedlich – genauso wie die Reaktion auf technische Impulse und visuelle Darbietungen. Einige nehmen die reale Umwelt trotz dem Tragen der VR-Brille immer noch intensiv wahr. Während andere nach wenigen Sekunden in einer völlig anderen Dimension unterwegs zu sein scheinen. Das ist der Unterschied zwischen der wahrgenommenen Presence und der bloßen technischen Immersion.

    • Engagement:

      Ein weiterer Terminus in diesem Zusammenhang ist das Engagement. Um dieses Phänomen zu erklären, brauchen wir nicht einmal die virtuellen Welten zu betrachten. Dieser Begriff stammt ursprünglich aus dem Spiel- und Entertainmentbereich. Generell hat die Immersionsthematik eine gewisse Verwandtschaft zur (Computer-)Spielen aufzuweisen. Das ist allein schon der Fall, weil das Spielen an einer Videospielkonsole auch eine technische Immersion mit sich bringt. Dennoch ist es in diesem Fall nicht zuletzt auch das Engagement, was die Spieler:innen an das Videospiel fesselt. Viele dieser Videospiele haben das Sammeln von Münzen/Geld, das Gewinnen oder das Umsetzen einer Strategie zum Inhalt. Häufig ist es so, dass der:die Spieler:in einen gewissen Aufwand hat (etwas sammeln muss) und anschließend belohnt wird. Je nachdem wie gut die Umsetzung des Videospiels ist und wie anfällig die spielende Person für dieses Prinzip ist, kommt es zu einem übermäßigen Engagement im Sinne der Zielerreichung (der Belohnung). Den Zustand, in dem Spieler:innen beinahe besessen davon sind, das Spiel zu gewinnen, nennt man auch Deep Play. Dieser Zustand ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass die Spieler:innen das Ziel im Spiel, ihren eigentlichen Aufgaben des realen Lebens überordnen und sich somit (aus Sicht einer dritten Person) irrational verhalten (McMahan, 2003).


      Die Beobachtung von Engagement...in virtuellen Welten ist beispielsweise spannend im Film „Ready Player One“, welcher im einleitenden Text bereits vorgestellt wurde. In dieser Dystopie gibt es die eine virtuelle Realität, in welcher eine andere Währung existiert. In einem solchen Szenario sind die Menschen so sehr engaged mit der virtuellen Realität, dass die wirkliche Realität völlig in den Hintergrund. Es geht sogar so weit, dass Besitz und Reichtum in der virtuellen Welt einen viel höheren Stellenwert hat als in der realen Welt. Wogegen man sich heute noch die Frage stellen darf: „Was habe ich eigentlich wirklich davon, X Stunden in einem Videospiel zu verbringen?“ – nach dem Auftauchen aus dem Videospiel hat sich die reale Welt nicht verändert, ich habe also keinen wirklichen Vorteil erlangt. Ein Großteil der Menschheit verbringt trotzdem gerne hin und wieder einige Stunden mit Videospielen. Dieses Verhalten ist insofern irrational aber das Engagement mit dem Spiel und dessen Maximen lässt uns glauben, dass wir völlig rational handeln.
       
    • In dieser Lektion haben Sie gelernt, dass es neben der objektiv messbaren Immersion weitere verwandte Begriffe gibt, die in ihrem Zusammenspiel ein klareres Bild von einem Ein- und Auftauchen in die virtuellen Welten zeichnen. Außerdem wurde in der Lektion das Verständnis vorgeschlagen, dass Immersion einen weitgehend technisch induzierten Prozess des Versinkens bezeichnet, während die wahrgenommene Presence den Zustand des Versunkenseins meint. Engagement ist ein weiterer Treiber, der das Bedürfnis nach Immersion zusätzlich schüren kann.