Kurs: Systemdenken und Nachhaltigkeit in Virtual Reality | OnCourse UB

  • Lektion 3

    Systemische Perspektive auf Nachhaltigkeit

    • Lern- und Erkundungsziel von Lektion 3: 

       

      Nach Abschluss von Lektion drei haben Sie die Ressourcenperspektive als ein systemisches Verständnis von Nachhaltigkeit kennengelernt und können diese erläutern. Sie haben außerdem ein Verständnis dafür entwickelt, dass soziale Systeme ihr Fortbestehen durch unterschiedliche Strategien sicherstellen können, die jeweils mit Vor- und Nachteilen verbunden sind. 




      Nachhaltigkeitsverständnis: Ressourcenperspektive

      Das vorliegende Nachhaltigkeitsverständnis legt eine Ressourcenperspektive zugrunde. Ökologische Nachhaltigkeit meint demnach ein ausgeglichenes Ressourcenverhältnis von Ressourcenverbrauch zu Ressourcennachschub (Substanzerhaltung). In Forschung und Praxis wird oft postuliert, dass Nachhaltigkeit in Unternehmen zu mehr Gewinnen führt (Win-Win-Logik), da Nachhaltigkeit als Öko-Effizienz interpretiert wird: Eine Reduktion des Ressourceneinsatzes steigere gleichzeitig die Gewinne. Bei dieser Logik handelt es sich jedoch lediglich um betriebswirtschaftliche Rationalisierung (geringes Ambitionsniveau). 

      Nachhaltigkeit, Energie, Apfel, Globus

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      Oft kommt es in Folge der Effizienzlogik zu einem Boomerang-Effekt, da eingesparte Ressourcen direkt wieder in die Steigerung des Produktionsvolumens investiert werden und somit einen gleichbleibenden oder sogar erhöhten Ressourcenverbrauch zur Folge haben. Ein mittleres Ambitionsniveau ist erst erreicht, wenn Unternehmen Nachhaltigkeit als Substanzerhaltung interpretieren, da so ein Beitrag zur Sicherung des Ressourcenzuflusses geleistet wird. Ein hohes Ambitionsniveau bedeutet, dass Unternehmen zusätzlich (soziale) Verantwortung (Corporate Social Responsibility) übernehmen und sich gegenüber Mensch und Natur rücksichtsvoll verhalten, indem ökologische und soziale Nebenwirkungen des unternehmerischen Handelns beschränkt werden. 

      Hände, Erde, Nächste Generation

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      Auf dem mittleren und hohen Ambitionsniveau kommt es bei Entscheidungsprozessen in Unternehmen zu Widersprüchlichkeiten und Trade-Offs zwischen der Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit, da eine Selbstbeschränkung der Unternehmen meist zu Lasten der Wirtschaftlichkeit geht. Ein Bewusstsein für diese Widersprüchlichkeiten braucht ein Management, welches in der Lage ist, die Dilemmata bzw. Spannungen zwischen den unterschiedlichen Entscheidungsprämissen (Wirtschaftlichkeit, Substanzerhaltung, Verantwortung) auszuhalten und auszubalancieren.

      Wichtig: Das Bestehen dieser Lernzielkontrolle ist Voraussetzung, um zur endgültigen Prüfungsleistung zugelassen zu werden.

    • Managementrationalitäten - Systemrationalität 1: Überleben durch Zweckerreichung

      Unternehmen haben den Zweck, bestimmte Güter in absatzfähiger Qualität zu produzieren. Dass soziale Systeme sich Zwecke setzen, bezeichnet Luhmann als einen Weg zur Reduzierung der Umweltkomplexität, da sich das System fortan nur noch mit zweckbezogenen Fragestellungen und Umwelten beschäftigen muss. Dadurch wird die Umweltkomplexität zwar auf eine bearbeitbare Form ins System gebracht, aber sie besteht weiterhin. Das Ausgeblendete kann jederzeit wieder überraschend für das System relevant werden. Heutzutage signalisieren die Unternehmenswelten zunehmend, dass sie die benötigten Ressourcen (Mittel zur Zweckerreichung) für die Bestandserhaltung des Systems nicht mehr liefern können. Der Umweltdruck für Unternehmen steigt: Unternehmen sehen sich heutzutage mit den Anforderungen konfrontiert, neben der Zweckerreichung weitere gesellschaftliche Aufgaben zu übernehmen. Diese fremddefinierten Zwecke sind jedoch widersprüchlich zu den alten Zwecken, sodass die Komplexität drastisch zunimmt. Da die uneingeschränkte Orientierung am Zweckdenken die Komplexität somit in einem bestandsgefährdenden Maße reduziert, muss die vorherrschende Zweckrationalität also um eine weitere Rationalität ergänzt werden.


    • Managementrationalitäten - Systemrationalität 2: Überleben durch Rückwirkungskontrolle

      Die allgemeine Systemtheorie geht davon aus, dass lebende Systeme offene Systeme sind, die Energie, Materie oder Informationen aus ihrer Umwelt zum Überleben brauchen. Dadurch muss sich das System immer wieder an die (Änderungen der) Umwelt anpassen, um zu überleben. Offene Systeme sind deshalb umweltdeterminiert (Fremdreferenz).


      Abbildung 2: Systemische und evolutionäre Beiträge autopoietischer Erkenntnisse (Quelle: eigene Darstellung VAN (2024), angelehnt an Müller-Christ (2001), S. 283)

      Die Theorie autopoietischer Systeme (auto = selbst, poiein = machen) sieht Systeme dagegen als organisatorisch geschlossene, autonome Interaktionssysteme, die sich nur auf sich selbst beziehen können (Selbstreferenz). Alle Interaktionen sind auf die Selbsterhaltung des Systems ausgelegt, sodass das System keine Interaktionen eingehen kann, die nicht im organisationseigenen Beziehungsmuster festgelegt sind (strukturelle Geschlossenheit). Autopoietische Systeme sind sehr umweltsensibel, während alle anderen Systeme nur reaktiv bzw. umweltdeterminiert sind. Autopoietische Systeme können sich somit nicht beliebig an die Umwelt anpassen, sondern nur entsprechend ihrer internen Struktur auf die Umwelt reagieren. Aufgrund der vielfältigen Austauschbeziehungen eines Systems mit seiner Umwelt muss dieses System mit bestandsgefährdenden Rückwirkungen aus der Umwelt auf sich selbst rechnen, wenn es die Umwelt gefährdet. Deshalb lautet eine weitere Rationalität: „Ein System verhält sich im Umgang mit seinen Umwelten dann rational, wenn es seine Einwirkungen auf die Umwelt an den Rückwirkungen auf es selbst kontrolliert.“ Diese Rationalität der Kontrolle der Rückwirkungen ist auch in der ressourcenorientierten Managementlehre relevant. Dabei stellen die Systeme in der Unternehmensumwelt Ressourcenquellen dar, dessen Rückwirkungen es zu kontrollieren gilt. Diese Ressourcenquellen sind wiederum selbst ressourcenabhängige Systeme mit spezifischen Überlebensbedingungen, sodass es beim Ressourcenaustausch zwischen den Systemen zu Interessensgegensätzen kommen kann. Da somit dauerhaft eine latente Ressourcenentzugsgefahr besteht, sollte alles, was das System in der Rückwirkung gefährdet, im Vornherein bereits unterlassen werden.



      Abbildung 3: Kontrolle der Rückwirkungen als Überlebensstrategie (Quelle: Eigene Darstellung VAN (2024), angelehnt an Müller-Christ & Remer (1999), S. 73)


      Für Organisationen und andere soziale Systeme bedeutet das, dass sie eine ständige Selbstreflexion der möglichen Nebenwirkungen brauchen, vor denen sich das System aufgrund der strukturellen Geschlossenheit nicht schützen kann. Erst durch eine gesteigerte Reflexionsfähigkeit können Organisationen sich als System unter Systemen verstehen. Luhmann versteht unter Reflexion eine Art der Selbststeuerung, durch die Systeme ihre Umwelt und ihre eigene Identität thematisieren und genau darauf einstellen, dass ihre Umwelt aus anderen Systemen besteht, sie selbst also Umwelt für andere Systeme sind. Erst durch diesen Blick auf das Außen können sie die Wirkungen ihres Handelns auf die Systeme in ihrer Umwelt wahrnehmen. 

      Spiegel, Mann, Dunkelheit, Traurigkeit

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      Dieses Verstehen der anderen Systeme (Umweltsensibilität) lässt sich in Analogie zum zwischenmenschlichen Verhalten als Empathie bezeichnen. Unternehmen müssen eine Art Empathie für die Belange ihrer Umwelt entwickeln. Das erfordert aus Managementsicht den Willen und die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung und -beschreibung als ein System in zirkulärer Interaktion mit anderen Systemen.

      Daraus ergibt sich für Systeme wie Organisationen die Schlussfolgerung, dass die Systemumwelt bzw. das Organisationsumfeld kein unabhängiger Lebensbereich ist, sondern eine Projektion des eigenen, organisationalen Selbstbildes. Die Umweltprobleme von Unternehmen hängen somit oft mit ihrem Selbstbild zusammen, das sie aufrechterhalten wollen. Der entscheidende Ansatzpunkt zur Gestaltung der Interaktion ist das systemeigene Selbstbild, welches darüber entscheidet, ob das Beziehungssystem bedrohlich oder förderlich werden kann. Das vorherrschende Bild der Unternehmens-Umwelt-Beziehung ist durch eine „egozentrische Organisation“ geprägt, die hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt ist und deshalb ihre eigene Komplexität und die Bedeutung des sie umgebenden Beziehungssystems nicht versteht.

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      So wird auf lange Sicht der Umweltdruck der Negativ-Betroffenen (z.B. Konsument:innen, Staat etc.) wachsen und die eigenen Handlungsräume werden eingeschränkt. Organisationen, die verstanden haben, dass ihre Umweltprobleme von ihrem eigenen Selbstverständnis abhängen, agieren in einer Art systemischer Weisheit. Ziel der Selbstreflexion ist ein Selbstbild, dessen Realisierung sowohl das Unternehmen als auch die Umwelten überleben lässt. Systemisch weises Handeln bedeutet nicht nur zu sehen, wie das eigene System von der Umwelt abhängt, sondern sich auch in der Konsequenz in den eigenen Handlungen zu beschränken, um unerwünschte Rückwirkungen zu verhindern.




    • Fazit: In dieser Lektion haben Sie systemtheoretische Ansätze für ein Nachhaltigkeitsverständnis (nach Müller-Christ) kennengelernt: Die Ressourcenperspektive. Dabei wird ökologische Nachhaltigkeit als ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Ressourcenverbrauch und Ressourcennachschub definiert. Ein hohes Ambitionsnvieau der Nachhaltigkeit kann im unternehmerischen Kontext dann angenommen werden, wenn neben den ökonomischen Zielen auch soziale und ökologische Verantwortung übernommen wird und die Nebenwirkungen der unternehmerischen Tätigkeiten auf diesen Ebenen reduziert werden. Mit dieser Einstellung geht auch die Notwendigkeit einher, Dilemmata und Spannungen zwischen diesen Entscheidungsprämissen auszuhalten und trotzdem die systemische Zweckerreichung und Rückwirkungskontrolle sicherzustellen.