Kurs: Systemdenken und Nachhaltigkeit in Virtual Reality | OnCourse UB

  • Lektion 1

    Einführung in das Konzept des Systemischen Denkens

    • Introvideo:
    • Einleitung zu Kapitel 4: 

      Herzlich willkommen zum Kapitel 4 der Veranstaltung „Systemdenken und Nachhaltigkeit“. In diesem Kapitel geht es um eine Einführung in „Konzepte des Systemischen Denkens“. 

      Im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung und einem ganzheitlichem Nachhaltigkeitslernen, spielt auch die Fähigkeit zum systemischen Denken eine entscheidende Rolle. Systemisches Denken wird hier Sinne von komplexem, vernetztem Denken verstanden, welches die wechselseitigen Einflüsse einzelner Elemente im System aufeinander berücksichtigt und versucht diese Einflüsse zu visualisieren. Dieser Form des Denkens liegt außerdem eine erkundende Haltung zugrunde, bei der das betreffende Individuum, entsprechend den Gesetzmäßigkeiten der Systemtheorie, offen die Systeme in seiner Umwelt beobachtet, erfasst und reflektiert. Systeme lesen zu lernen ist Voraussetzung, um deren Entwicklung zu ermöglichen – das ist grade in den aktuellen Zeiten des Wandels, der Schnelllebigkeit und Ungewissheit und den damit einhergehenden komplexen Themen relevant, auch vor dem Hintergrund der Erreichung der vielfältigen und komplexen 17 SDGs.

      Kapitel 4 soll daher einen Einblick geben, was systemisches Denken eigentlich ist, wie Systeme operieren und wie eine systemische Haltung erlangt werden kann. Zentrale Aussagen dieses Kapitels beziehen sich außerdem auf die Verbundenheit zwischen allen Systemelementen sowie die permanenten Wechselwirkungen durch Rückkopplungsschleifen innerhalb einzelner Systeme sowie zwischen mehreren (Sub-)Systemen. 


    • Einführung Systemisches Denken 

      Die systemische Perspektive bzw. Haltung werden in Lektion 1 anhand von Kernaussagen der Systemtheorie definiert, u.a. zum Konstruktivismus, der System-Umwelt-Differenzierung oder der “Zehn Gebote des systemischen Denkens” nach Simon. Nach Abschluss dieser Lektion haben sie zentrale Theorien und Grundsätze des Systemischen Denkens kennengelernt und können diese erläutern.



      Einführung in die Systemtheorie 

      Die folgenden Abschnitte beinhalten Einführungen in zentrale Begrifflichkeiten und Theorien der Systemtheorie. 

      Was ist ein System?


      Ein System ist zunächst einmal ein Gebilde oder eine Struktur von einzelnen Elementen, die in einem wie auch immer gearteten Zusammenhang zueinanderstehen. Durch diese Zusammenhänge oder auch Beziehungen, unterscheidet sich dieses System und dessen Mitglieder von der Umwelt des Systems. Bei der grundsätzlichen Frage danach, was ein System ist, kann außerdem zwischen allopoietischen (technischen) Systemen und autopoietischen (selbsterzeugenden) Systemen unterschieden werden. Beispiele für Allopoietische Systeme können beispielsweise Autos oder Computer sein. Wenn in dieser Veranstaltung von Systemen gesprochen wird, so werden damit meist autopoietische Systeme gemeint. Untergruppen dieser Allopoietischen Systeme können wiederum lebende, psychische oder soziale Systeme sein.

      Die Systemische Perspektive

      Die Systemische Perspektive, wie sie in dieser Lehrveranstaltung verstanden wird, geht auf die Prinzipien der systemischen Forschung zurück. Systemische Forschung ist wiederum aus der Systemtheorie sowie der Systemwissenschaft hervorgegangen.

      Systemtheorie = Theorie über die Funktionsweisen und Überlebensbedingungen von Systemen

      Die Systemtheorie kann als interdisziplinäre Wissenschaft verstanden werden, die in den Bereichen Natur-, Geistes-, und Sozialwissenschaften (inkl. der Psychologie) angesiedelt ist und somit natürliche, technische und soziale Systeme untersucht.

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      Innerhalb der systemischen Forschung wird weitgehend die Annahme vertreten, dass zur Erforschung von Systemen stets eine systemische Haltung seitens der Forschenden nötig ist. Da systemische Untersuchungen immer auch abhängig sind von der individuellen systemischen Perspektive der forschenden Person.

      Einer systemischen Haltung liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Beobachtende (Subjekt) und Beobachtetes (Objekt) nicht voneinander zu trennen sind. Da sich das Beobachtete nicht so zeigt, wie es ist (objektiv), sondern die Art und Weise wie es sich zeigt abhängig ist von der Fragestellung des Beobachtenden.

      Systemisches Denken = nutzt Erklärungen aus der Systemtheorie, um Systeme darzustellen, beispielsweise Formen, Modelle oder Bilder. Beim systemischen Denken werden Relationen zwischen Objekten betrachtet und zirkuläre Erklärungen verwendet. 


      Unternehmen können entsprechend der Logik der Systemtheorie beispielsweise als komplexe, dynamische und offene Systeme verstanden werden. Komplex deshalb, weil zwischen den Systemelementen eine große Menge an Beziehungen und Wechselwirkungen besteht, dass nicht alle überschaut werden können. Jede Beziehung unterliegt Eigendynamiken und damit einhergehenden unvorhersehbaren Rückkopplungsschleifen. Das Beziehungsgefüge stellt die Struktur eines Systems dar.

    • Der systemische Konstruktivismus nach Fritz B. Simon & Niklas Luhmann:

      Fritz B. Simon gilt als einer der bedeutendsten systemischen Theoretiker und Therapeuten in Deutschland. Simon orientiert sich vor allem an der von Niklas Luhmann entwickelten Differenzierung zwischen System und Umwelt und dem damit kompatiblen Konstruktivismus von Paul Watzlawick.

      Konstruktivismus

      Grundsätzlich für Simons Systemtheorie und Konstruktivismus ist es, dass sich über Wahrheiten in einem aufwendigen interpersonellen Prozess geeinigt werden muss, und diese nicht als Normen vorgegeben werden dürfen. Jeder Mensch hat ein eigenes Weltbild, welches persönliche Entscheidungen beeinflusst und für ein enormes Konfliktpotenzial sorgen kann. Simon betont deshalb bei der Konfliktlösung die wichtige Unterscheidung von drei Teilkomponenten der Wirklichkeitskonstruktion: 

      (1) Das Beschreiben, (2) das Erklären und (3) das Bewerten...

      ... wobei letzteres die Beschreibungen und Erklärungen jederzeit beeinflusst. Aus diesen drei Teilkomponenten der Wirklichkeitskonstruktion entstehen viele Konflikte im Kampf um die „richtige“ Wahrheit. In der systemischen Therapie geht es deshalb nicht darum, die „richtige“ Deutung zu finden, sondern eine „wirksame" Deutung. Bei den Wirklichkeitskonstruktionen der Menschen steht nicht die Suche nach der Wahrheit im Vordergrund, sondern die Tauglichkeit im alltäglichen Handeln.

      Wichtig: Das Bestehen dieser Lernzielkontrolle ist Voraussetzung, um zur endgültigen Prüfungsleistung zugelassen zu werden.
    • System-Umwelt-Differenzierung

      „‚Systemisch‘ arbeiten bedeutet, sich auf die Anwendung der Unterscheidung ‚System/Umwelt‘ einzulassen. Es wird erprobt, was man mit dieser Unterscheidung zu sehen bekommt.“ Die System-Umwelt-Analyse ist die Auseinandersetzung eines Systems mit seinen Umwelten und deren Erwartungen an das System. Luhmann hat die grundlegende Differenzierung von System und Umwelt eingeführt. Eine zentrale Aktivität von Systemen ist das Beobachten, welches sich laut Luhmann in Unterscheiden und Bezeichnen einteilen lässt: „Beobachten ist das Handhaben einer Unterscheidung zur Bezeichnung der einen und nicht der anderen Seite“. Durch Unterscheidungen wird eine Grenze zwischen Bedeutungsräumen gezogen, die der Innenseite eines Objekts einen Wert zuschreibt, der der Außenseite nicht zugeschrieben wird. So wird ein Objekt kreiert, welches sich über seine System-Umwelt-Beziehung definiert und sich durch diese von anderen Objekten unterscheidet. Das System wird als verschieden von der Umwelt bestimmt – die Umwelt bleibt dabei jedoch unbestimmt.

      Wichtig: Das Bestehen dieser Lernzielkontrolle ist Voraussetzung, um zur endgültigen Prüfungsleistung zugelassen zu werden.

    • Beobachtung 1. und 2. Ordnung

      In den praktischen VR-Learning-Journeys ab Kapitel 10, werden Sie dazu eingeladen selbst systemische Übungen in VR mit Nachhaltigkeitsbezug durchzuführen. Für diese systemische Arbeit sind Kenntnisse über die Bedeutung von Beobachtungen im Rahmen der Systemtheorie von besonderer Relevanz. Der folgende Abschnitt thematisiert die Vorgänge der Beobachtung 1. und 2. Ordnung im Kontext von systemischen Erkundungsprozessen. 

      Die systemisch-konstruktivistische Systemtheorie bezieht die beobachtende Person in alle Untersuchungen mit ein. Die untersuchte Einheit besteht somit immer aus einer beobachtenden Person und dem beobachteten System. Dabei wird die Wechselbeziehung zwischen Person und System untersucht, sprich der Prozess des Beobachtens. Dazu muss zwischen der Beobachtung bzw. Kybernetik erster Ordnung und der Beobachtung bzw. Kybernetik zweiter Ordnung unterschieden werden. 

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      Der Begriff der Kybernetik wurde von dem Wissenschaftler Norbert Wiener geprägt und bezieht sich auf Untersuchung der Steuerung von Verhalten.  Die Kybernetik erster Ordnung bezeichnet die Untersuchung von Systemen ohne Berücksichtigung der beobachtenden Person, während die Kybernetik zweiter Ordnung, oder auch „Kybernetik der Kybernetik“, die beobachtende Person in das beobachtete System mit einbezieht. Bei der Beobachtung erster Ordnung sieht die beobachtende Person nur das, was sie durch ihre eigenen Bezeichnungen von getroffenen Unterscheidungen zu sehen bekommt. Bei der Beobachtung zweiter Ordnung sieht die beobachtende Person dagegen, wie sie selbst das beobachtete System beobachtet, und dass sie selbst eine bestimmte Sichtweise auf das System hat. Die Kybernetik zweiter Ordnung beobachtet das übergeordnete System, bei dem die beobachtende Person sich nicht mehr in der Außenperspektive sieht, sondern jetzt selbst Teil des Systems ist. Die beobachtende Person muss sich dann fragen, inwieweit sie die Verhaltensmuster in dem von ihr beobachteten System beeinflusst, und ob eine „objektive“ Beschreibung des Systems überhaupt möglich ist. Es kommt also zu einer „Beobachtung der Beobachtung“.


    • Autopoiese

      Um den Kern des systemischen Verständnisses näher zu kommen, ist auch die Betrachtung des Begriffs der „Autopoiese“ relevant. Autopoiese beschreibt die Fähigkeit eines Systems zur Selbsterhaltung und sogar zur Selbsterschaffung. Um Autopoise zu betreiben, ist jede Aktivität des Systems auf die Selbsterhaltung des jeweiligen Systems bezogen. Wenn also Systeme beobachtet, deren Abläufe reflektiert oder verändert werden wollen, kann das Verständnis über die Tendenz von Systemen zur Autopoiese hilfreich sein. Auf den Nachhaltigkeitskontext bezogen könnte man sich daher die Frage stellen: Wie trägt der immer weiter zunehmende Verbrauch von Ressourcen auf der Welt zur Aufrechterhaltung menschlicher Systeme bei?

      Maturana prägte den Begriff Autopoiesis (Selbsterschaffung) erstmals im biologischen Kontext des zirkulären Phänomens molekularer Reaktionsketten. Die Grundaussage autopoietischer Systeme lautet, dass ein autopoietisches System die Elemente reproduziert, aus denen es besteht, mit Hilfe der Elemente, aus denen es besteht. Luhmann übertrug dieses Konzept Maturanas auf seine Theorie sozialer Systeme: „Autopoiesis heißt: Selbstreproduktion des Systems auf der Basis seiner eigenen Elemente“. Autopoietische Systeme produzieren die Elemente, aus denen ihre internen Strukturen gebildet werden, somit selbst und sind dadurch operativ geschlossen. Einzelne Elemente sterben ab, doch das Muster der Prozesse, welche sicherstellen, dass Elemente erneuert werden, bleibt konstant. Operative Geschlossenheit bedeutet, dass die Systemoperationen nur innerhalb des Systems stattfinden, ohne dass die Umwelt an den Prozessen innerhalb dieses Systems aktiv mitwirken kann. 

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      So entstehen bspw. Bewusstsein und Kommunikation aus sich selbst heraus und reproduzieren sich ausschließlich innerhalb des entsprechenden Prozesses. Die Umwelt bildet ausschließlich die Voraussetzung der Autopoiesis und kann Einfluss auf die Existenzbildung des Systems nehmen, indem sie es stört oder zerstört. Ein autopoietisches System ist strukturdeterminiert, es ist also in seinen Operationen auf die durch die eigenen Elemente festgelegten Grenzen beschränkt. Ab der Existenz eines Systems geht man von einer Umweltangepasstheit aus. Diese ist die Grundannahme dafür, dass das System unter den Bedingungen der Umwelt überlebt. Aus der strukturellen Geschlossenheit resultiert, dass ein System keine Interaktionen eingehen kann, die nicht im organisationseigenen Beziehungsmuster festgelegt sind. Alle Interaktionen sind immer auf die eigenen Belange (Selbsterhaltung) ausgerichtet. Die Bezogenheit auf die eigene Reproduktion und die geringen Reaktionsmöglichkeiten auf Umweltereignisse werden auch als Selbstreferenz bezeichnet. 

      Wichtig: Das Bestehen dieser Lernzielkontrolle ist Voraussetzung, um zur endgültigen Prüfungsleistung zugelassen zu werden.

    • Soziale Systeme als Kommunikationssysteme

      Bei autopoietischen Systemen wird zwischen lebenden Systemen und Sinnsystemen differenziert. Sie bestehen aus unterschiedlichen Elementen und entstehen jeweils durch eine andere Art von Operationen. Bei lebenden Systemen ist diese Operationsbasis das „Leben“ und bei sinnhaften Systemen der „Sinn“. Beispiele für lebende bzw. biologische Systeme sind Zellen, Organismen oder Nervensysteme. Sie entstehen durch spezifische Operationen: die biochemischen Reaktionen. Die Sinnsysteme werden zusätzlich noch in psychische und kommunikative Systeme unterteilt. Die Operationsbasis des psychischen Systems sind Prozesse des menschlichen Bewusstseins (Gedanken und Gefühle). Den kommunikativen Systemen werden soziale Systeme untergeordnet. Die Operationsbasis dieser sozialen Systeme ist „Kommunikation“, als Beispiel sei hier die Gesellschaft genannt.


      Luhmann definiert nicht Menschen als kleinste Analyseeinheit (Elemente) eines sozialen Systems, sondern Kommunikationen. Die Elemente eines sozialen Systems sind somit keine materiellen Einheiten, sondern Ereignisse bzw. Operationen. Kommunizieren bedeutet nicht Handeln, da letzteres allein geschehen kann. Kommunikation geht aus dem System hervor und benötigt mehrere Teilnehmende. In einem sozialen System müssen also Kommunikationen an Kommunikationen anschließen, damit das System dauerhaft aufrechterhalten wird.

      „Kommunikation ist Prozessieren von Selektion.“ Laut Luhmann ist Kommunikation ein selektives Geschehen, bei dem autonome, durch interne Strukturen gesteuerte Beobachter:innen aufeinandertreffen, die immer auch anders auf eine Mitteilung reagieren könnten, als der:die Sender:in der Mitteilung vorhersagen kann. Ein einseitiges Festlegen, wie eigenes Verhalten von anderen verstanden wird, ist somit nicht möglich. Im Sinne des Konstruktivismus kommt es hierbei zu einer wechselseitigen Interpretation von beobachtetem Verhalten. Der Sachverhalt lässt sich anhand von einer rechts-vor-links-Kreuzung verdeutlichen. An dieser Kreuzung ist ein unterschiedliches Interpretieren der Gesten, wie Lichthupe, Handzeichen oder Blickkontakt, möglich. Somit ist die Kommunikation nicht eindeutig, da jede Person Platz für eigenen Deutungsspielraum hat. Jede Person bestimmt selbst, welche Informationen eine Mitteilung für sie enthält.
      Insofern liegt der entscheidende Punkt hier nicht bei der reinen Übertragung von Informationen, sondern bei der Wahrnehmung der empfangenden Person. Damit eine Lösung für die Situation gefunden werden kann, müssen die Akteure „auf einen Nenner“ kommen, um sinnvoll miteinander interagieren zu können. Die Konstruktionen der Wirklichkeit, also ihre Wahrnehmungen, müssen sich im Gleichgewicht befinden – Stichwort „Viabilität“. Viabilität ist die Gültigkeit bzw. Brauchbarkeit von Wirklichkeitskonstruktionen.


    • Die „Gefahr“ des geradlinigen Ursache-Wirkungs-Denkens

      Systemisches Denken bedeutet: „An die Stelle geradlinig-kausaler treten zirkulare Erklärungen, und statt isolierter Objekte werden die Relationen zwischen ihnen betrachtet.“ Die Regelung von Verhalten ist laut Simon erst dann erklärbar, wenn Rückkopplungsprozesse beachtet werden. Das Verhalten wirkt sich demnach auf den weiteren Verlauf des Verhaltens aus und korrigiert Störungen und Abweichungen von selbst. Durch diese zirkuläre Form der Kausalität und die große Anzahl von Wechselbeziehungen zwischen den Systemelementen kann ein hoher Komplexitätsgrad erreicht werden, der eine objektive Antwort auf die Frage, was Ursache und was Wirkung ist, unmöglich macht. So können geradlinige Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu falschen Schlussfolgerungen führen. Wurden Menschen früher schizophren, suchten Therapeut:innen die Gründe in der Vergangenheit, zum Beispiel in der Familie. Aus diesen geradlinigen Erklärungen wurden dann einfache Problemlösungen entwickelt, die aber kaum zu Erfolgen führten. Der Grund dafür ist, dass die Familie nicht das einzige soziale System ist, welches als Ursache in Betracht gezogen werden muss.


    • Fritz B. Simon – Zehn ‚Gebote‘ des systemischen Denkens

      Als einer der Pionier der Systemtheorie hat Fritz B. Simon insgesamt zehn Maxime (er nennt sie Gebote) formuliert, welche die Kriterien des systemischen Denkens noch einmal gebündelt zusammenfassen. Diese zehn Maxime können als Gedächtnisstützen beim bewussten Praktizieren von systemischem Denken sowie einer erkundenden Haltung hilfreich sein und werden hier im Folgenden mit einer kurzen Erläuterung aufgelistet: 

      1. „Mache dir stets bewusst, dass alles, was gesagt wird, von einem Beobachter gesagt wird!“
      ...Aussagen über die Welt werden von der Perspektive der betrachtenden Person beeinflusst, d.h. von Wahrnehmungsfähigkeiten, Interessen, Vorerfahrungen usw. „Objektive“ Aussagen über die Welt sind somit kaum möglich und bestenfalls als Ergebnis der Einigung unterschiedlicher beobachtender Personen zu verstehen.

      2. „Unterscheide stets das, was über ein Phänomen gesagt wird, von dem Phänomen, über das es gesagt wird!“
      ...Die Bezeichnung eines Phänomens (Landkarte) ist nicht mit dem bezeichneten Phänomen gleichzusetzen (Landschaft), da diese Bezeichnungen durch Beobachtungsmethoden bzw. die beobachtende Person beeinflusst werden. Die implizite Logik von Zeichensystemen (z.B. Symbole, Sprache, Formeln etc.) ist i.d.R. anders als die der bezeichneten Phänomene.

      3. „Wenn du Informationen (be)schaffen willst, triff Unterscheidungen!“
      ...Informationen entstehen durch das Ziehen von Grenzen zwischen einem „Innen“ und einem „Außen“, d.h. durch die Abgrenzung von definierenden Merkmalen, die der Innenseite eines Raums, Zustands oder Inhalts zugeschrieben werden und dadurch gleichzeitig auf der Außenseite negiert werden. Diese Grenzen und daraus resultierende Einheiten entstehen entweder durch Prozesse, die von der beobachtenden Person unabhängig sind und dementsprechend beobachtet werden können, oder werden aktiv von der beobachtenden Person definiert.
       

      4. „Trenne in deiner inneren Buchhaltung die Beschreibung beobachteter Phänomene von ihrer Erklärung und Bewertung!“
      ...Die Beschreibung von Phänomenen lässt noch nicht auf eine entsprechende Handlungskonsequenz schließen. Erst die Bewertung dieses Phänomens, d.h. die zugeschriebene (Un-)Erwünschtheit dessen, führt zu erhaltenden oder verändernden Handlungen in Bezug auf das Phänomen. Die daraus abgeleiteten Maßnahmen basieren dann auf den jeweils konstruierten Erklärungen für den Ist- oder Sollzustand. Werden diese Beschreibungen, Erklärungen und Bewertungen jedoch fest miteinander gekoppelt, so werden zwangsläufig Handlungsoptionen eingeschränkt und kreative, neue Lösungen verhindert.
       

      5. „Der Status quo bedarf immer der Erklärung!“
      ...Die Strukturen eines lebenden Systems (Organismen, psychische und soziale Systeme) entstehen nur dann und bleiben nur dann unverändert, wenn sie aktiv hergestellt und erhalten werden (Autopoiese). Erscheinen einer beobachtenden Person gewisse Merkmale oder Eigenschaften des Systems als konstant, so sind diese Merkmale und Eigenschaften immer als Ergebnis eines dynamischen Prozesses zu erklären, der aktiv dafür sorgt, dass sich nichts verändert.

      6. „Unterscheide Elemente, Systeme und Umwelten!“
      ...Um die Komplexität der Welt zu reduzieren, braucht es eine Begrenzung des Beobachtungsbereich. Systeme lassen sich dabei als Einheiten definieren, die sich aus Elementen zusammensetzen. Elemente sind die kleinsten Einheiten, die es nicht weiter zu analysieren braucht. Zudem werden Systeme nach außen gegen Umwelten abgegrenzt. Diese Umwelten können andere Systeme sein oder auch einfach allein dadurch charakterisiert werden, dass die Merkmale des zu betrachtenden Systems nicht gegeben sind.

      7. „Betrachte soziale Systeme als Kommunikationssysteme, d. h., definiere ihre kleinsten Einheiten (Elemente) als Kommunikationen!“
      ...Zur Kommunikation gehören immer mindestens zwei Teilnehmende: Eine Person, die eine Information sendet, und eine Person, die sie versteht. Diese Operation ist das Letztelement sozialer Systeme. Es ist somit die Kontinuität der Kommunikationen und nicht die Kontinuität der Personen, die ein soziales System aufrechterhält. Wird die Kommunikation nicht fortgesetzt, endet das System.

      8. „Denke daran, dass die Überlebenseinheit immer ein System mit seinen relevanten Umwelten ist!“
      ...Die Grenzen dessen, was in einem sozialen System (z.B. Familie, Organisation oder Gesellschaft) möglich ist, wird von den jeweiligen relevanten Umwelten bestimmt. Dazu gehören die biologischen und psychischen Systeme der Teilnehmenden sowie andere soziale Systeme. Zwischen Systemen und Umwelten können Konflikte entstehen. Bei der Konfliktlösung ist es wichtig, Lösungen zu finden, mit denen beide Seiten einverstanden sind, damit keine nichtbeabsichtigten, autodestruktiven Langzeitwirkungen entstehen.

      9. „Orientiere dein Handeln an repetitiven Mustern!“
      ...Konstanz in dynamischen Systemen ist immer durch die Wiederholung von Prozessmustern mit konstanten Organisationsformen zu erklären. Das gilt sowohl für problematische, zu verändernde Zustände als auch für positive bewertete, angestrebte Ziele und Lösungen. Alles, was im System nur einmal geschieht, ist nicht von Bedeutung. Nur bei Wiederholungen kann auch mit Berechenbarkeit gerechnet werden.

      10. „Betrachte Paradoxien und Ambivalenzen als normal und erwartbar!“
      ...Das Ideal der zweiwertigen Logik, wonach Aussagen entweder „wahr" oder „falsch" sind und etwas Drittes nicht möglich ist, ist ein typisches Landkartenphänomen, das durch die beobachtende Person produziert wird. Die tatsächlich existierende Welt ist jedoch immer voller Widersprüche, Vieldeutigkeiten etc. Ambivalenz ist daher eigentlich die für jede beobachtende Person angemessene Normalverfassung, sodass die beobachtende Person immer wieder neu entscheiden muss, obwohl es keine sicheren Kriterien für eine „richtige“ Entscheidung gibt. Das gilt sowohl für die Entscheidungen über Beschreibungen, Erklärungen und Bewertungen von Phänomenen als auch schließlich und vor allem für die daraus abzuleitenden Handlungskonsequenzen.



    • Fazit: Ein System ist eine Struktur von einzelnen Elementen, die in einem Zusammenhang zueinanderstehen. Durch diese Zusammenhänge oder auch Beziehungen, unterscheidet sich dieses System und dessen Mitglieder von der Umwelt des Systems. Bei der grundsätzlichen Frage danach, was ein System ist, kann zwischen allopoietischen (technischen) Systemen und autopoietischen (selbsterzeugenden) Systemen unterschieden werden. Die Systemtheorie beschäftigt sich mit den Funktionsweisen von Systemen. Grundlage einer systemischen Haltung ist zunächst, dass Beobachtende und Beobachtetes (Objekt) sind nicht voneinander zu trennen sind, sondern die Einschätzung des beobachteten Objekts abhängig von der Fragestellung des Beobachters ist. Hier schließt sich auch die Theorie Konstruktivismus an die besagt, dass Wissen aktiv und subjektiv vom Individuum auf Basis von dessen Erwartungen konstruiert wird. Trotzdem ist es im Sinne der System-Umwelt-Differenzierung zentral, Unterscheidungen zwischen dem inneren System und der umgebenden äußeren Umwelt zu treffen. Komplexe Systeme können mittels der Beobachtung 1. Und 2. Ordnung analysiert werden, indem entweder das zu beobachtende Phänomen oder die subjektive Perspektive der beobachtenden Person observiert wird. Um systemisch zu denken, ist es außerdem von Bedeutung, auch Rückkopplungsprozesse und Wechselwirkungen von einzelnen Systemelementen zu berücksichtigen.