Kurs: Systemdenken und Nachhaltigkeit in Virtual Reality | OnCourse UB

  • Lektion 2

    • Reflexion der Bedeutungsperspektiven


      In der vorherigen Lektion haben Sie sich intensiv mit globalen Gerechtigkeitsfragen und Ungerechtigkeiten auseinandergesetzt sowie alternative Modelle von Wachstum und Wohlstand kennengelernt. Dabei wurden Ihnen verschiedene normative Perspektiven vorgestellt, die zeigen, wie unterschiedlich man auf die Welt und ihre Herausforderungen blicken kann. Diese Auseinandersetzungen sollten Sie dazu angeregt haben, über konventionelle Vorstellungen hinauszudenken und alternative Denkansätze zu hinterfragen.


      Transformation durch Reflexion:
      Die Bedeutungsperspektiven als Schlüssel zum Wandel

      Das Konzept der Bedeutungsperspektiven (Meaning Perspectives) beschreibt die Wahrnehmungs- & Interpretationsrahmen, die Individuen zur Strukturierung ihrer Wirklichkeit nutzen. Diese Bedeutungsperspektiven fungieren als kognitive Schablonen, die unsere Erfahrungen & Wahrnehmungen ordnen und in denen wir sie interpretieren. Wie Mezirow (1997) formuliert, stellt eine Bedeutungsperspektive ein ‚Bündel gewohnheitsmäßiger Erwartungen‘ dar, welches als Bezugsrahmen dient. Dieser Rahmen ermöglicht es uns, unser ‚Symbolmodell‘ auf die Welt zu projizieren und dient als (gewöhnlich stillschweigendes) System von Überzeugungen, welches die Bedeutung von Erfahrungen interpretiert und bewertet.

      Bedeutungsperspektiven erfüllen dabei drei wesentliche Funktionen:


    • Im Prozess des transformativen Lernens werden diese Bedeutungsperspektiven herausgefordert; dies geschieht oft durch krisenhafte Erfahrungen, die ihre Stabilität erschüttern und sie einer Veränderung zugänglich machen. Solche Lernprozesse beginnen in der Regel mit einem desorientierenden Dilemma, bei dem die bisherigen Bedeutungsperspektiven in Frage gestellt werden. Diese Phase ist oft von intensiven emotionalen Reaktionen begleitet, die eine kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Überzeugungen & Erwartungen einleiten.

      Nach dieser initialen Verunsicherung wird der Prozess der Transformation fortgesetzt, indem die Lernenden ihre kritische Reflexion mit anderen teilen. In diesem gemeinschaftlichen Austausch werden Möglichkeiten zur Entwicklung neuer Bedeutungsperspektiven erörtert und ausprobiert. Dieser (idealerweise herrschaftsfreie) Diskurs soll die Erkundung & Verinnerlichung neuer Sichtweisen & Kompetenzen fördern. Die neu gewonnenen Bedeutungsperspektiven werden gegebenenfalls in das eigene Alltagsleben integriert, wodurch die Lernenden in die Lage versetzt werden, ihr Handeln & Denken auf einer neuen, reflektierten Grundlage zu gestalten.

      Das Ziel und Ergebnis solcher transformativen Lernprozesse besteht in der Stärkung der Reflexionsfähigkeit als Ausgangspunkt für rationales Handeln. Es geht darum, die Fähigkeit zu entwickeln, Gelerntes durch reflexive Diskurse zu validieren und nach den gewonnenen, tieferen Einsichten zu handeln. 

      Bedeutungsperspektiven prägen als implizite & subtile Alltagsideologien die individuellen Wahrnehmungen und Aushandlungsprozesse in Gesellschaften. Trotz ihrer tiefgreifenden Wirkung werden diese Alltagsideologien nur selten explizit hinterfragt. Sie wirken durch soziale, politische und ökonomische Systemstrukturen auf unsere Glaubenssätze ein und rahmen auch unsere moralischen Überlegungen, sozialen Beziehungen sowie die Art & Weise, wie wir neues Wissen erwerben, Selbsterfahrungen machen und Bewertungen über die Welt vornehmen.

      Im Rahmen transformativer Lernprozesse ist es daher entscheidend, die impliziten Macht- & Deutungsstrukturen in Gesellschaften, aber auch in den jeweiligen institutionellen Settings der jeweiligen Lernumgebung, zum Gegenstand der Reflexion zu machen. Transformative Bildung steht in der Tradition der Kritischen Theorie und zielt darauf ab, subtil wirkende (oft kapitalistische) Wertorientierungen und andere dominierende Ideologien aufzudecken. Durch diese Reflexion und das kritische Hinterfragen bestehender Bedeutungsperspektiven können Lernende dazu befähigt werden, aktiv an der Gestaltung einer gerechteren und nachhaltigeren Gesellschaft teilzunehmen.


    • Vom Bewusstsein zur Handlung:
      Die VR-Learning-Journeys als Teil eines transformativen Bildungsprozesses als Mittel gesellschaftlicher Veränderung

      Das Ziel transformativer Lernprozesse liegt in der kollektiven Emanzipation von gesellschaftlichen & politischen Strukturen, die auf Ausbeutung & Unterdrückung basieren. Solche Lernprozesse sind darauf ausgerichtet, Sie dazu zu befähigen, tief verwurzelte Machtverhältnisse in der Gesellschaft zu erkennen und aktiv an deren Transformation mitzuwirken. Dies soll durch ein Wechselspiel von Reflexion, dialogischem Austausch mit Gleichgesinnten und gemeinsamer Aktion erreicht werden, wodurch kontinuierliche Bewusstwerdungsprozesse in Gang gesetzt werden.

      Diese Bewusstwerdungsprozesse beziehen sich nicht nur auf die Wirkung gesellschaftlicher Strukturen auf Sie als Individuen, sondern auch auf den Einfluss, den Sie selbst auf die Veränderung politischer und sozialer Gegebenheiten ausüben können. Sie sollen verstehen, wie sie sowohl von diesen Strukturen beeinflusst werden als auch wie Sie aktiv zur Veränderung dieser Strukturen beitragen können.

      Visualisierung der "Meaning Perspectives", die verschiedene Sichtweisen und Bedeutungen aufzeigt

      @DALL-E

      Im Mittelpunkt steht hierbei eine problemformulierende Bildungsarbeit, die als dynamisches Wechselspiel von Aktion und Reflexion gestaltet ist. Sie werden aufgefordert, sich kritisch mit gesellschaftlichen Missständen auseinanderzusetzen, die Konstruktion gesellschaftlicher Machtverhältnisse zu reflektieren und die Veränderbarkeit Ihrer eigenen Rolle darin zu erkennen. Dieser Ansatz ermöglicht es Ihnen, nicht nur passive Rezipienten von Wissen, sondern aktive Gestalter:innen Ihres eigenen Lernprozesses und ihrer sozialen Umwelt zu sein.

      Das übergeordnete Ziel dieser Bildungsprozesse ist die Einsicht in die Notwendigkeit einer globalen, politischen Bewusstwerdung über die ökologischen und sozialen Krisen, denen die Welt gegenübersteht. Diese kollektive Einsicht setzt eine klare Kritik an der dominanten Kultur und den Praktiken der Vergangenheit voraus. Sie fördert die Entwicklung von Visionen über alternative Konzepte in Kultur und Gesellschaft und versucht, konkrete Strategien zur Transformation in Richtung Nachhaltigkeit zu entwickeln.

      Eine zentrale Annahme dieses Bildungsansatzes ist, dass das Nachdenken über und das Handeln für Nachhaltigkeit kulturell und biografisch tief in den Identitäten der Lernenden verankert ist. Aus diesem Grund profitieren Sie von Methoden, die sie befähigen, einen selbstorganisierten Prozess der Auseinandersetzung mit Wissen, Werten und Emotionen im Kontext der Nachhaltigkeit aufzunehmen. Dieser Prozess ermöglicht es Ihnen, ihre eigenen kulturellen Prämissen, die zu nicht nachhaltigen Handlungen führen, zu hinterfragen und durch einen kritischen Diskurs mit Mitlernenden zu verändern.

      Transformatives Lernen wird dabei als ein Prozess der Veränderung subjektiver Bedeutungsperspektiven verstanden, der ohne eine vorgegebene Richtung durch die Lehrenden erfolgt. Dies eröffnet Ihnen die Möglichkeit, einen umfassenden, ideologiekritischen Reflexionsprozess über ihre Beziehungen zur natürlichen und sozialen Umwelt zu durchlaufen. Es befähigt Sie, Ihre eigene Entwicklung in Richtung einer aktiven, konstruktiven und nachhaltigen Bürgerschaft zu steuern.


    • Übung: Autobahn im Kopf – Eine Übung zur Hinterfragung von Bedeutungsperspektiven & Normalitätsvorstellungen

      File:American Progress (John Gast painting).jpgQuelle: John Gast, Public domain, via Wikimedia Commons

      Wichtig: Das 'erfolgreiche' Absolvieren der Reflexionsaufgaben ist erforderlich, um zur endgültigen Prüfungsleistung zugelassen zu werden.