In aktuellen Bildungsprozessen liegt der Fokus häufig auf der Vermittlung von System- & Zielwissen. Diese beiden Wissensformen sind essenziell für das Verständnis der Funktionsweise komplexer Systeme sowie für die Entwicklung normativer Vorstellungen darüber, wie eine nachhaltige Zukunft aussehen sollte. Obwohl dieses Wissen eine wichtige Grundlage bildet, reicht es allein nicht aus, um Lernende wirklich auf die aktive Mitgestaltung von gesellschaftlichen Transformationsprozessen vorzubereiten. Nachhaltigkeitsbildung sollte sich nicht darauf beschränken, theoretisches Wissen zu vermitteln; Sie als Lernende benötigen Gelegenheiten, eigene Selbsterfahrungen zur Gestaltung des Wandels durchzuführen. Solche Reflexionserfahrungen sind entscheidend, damit Sie ihren eigenen Beitrag zur sozial-ökologischen Transformation erkunden und reflektieren können. Es braucht eine lebendige Lern- & Teilhabekultur, die weit über die bloße Ansammlung von trägem Nachhaltigkeitswissen hinausgeht. Eine solche Kultur zielt darauf ab, Sie als Lernende nicht nur als passive Empfängerinnen & Empfänger von Wissen zu betrachten, sondern Sie als aktive Mitgestalter:innen des Wandels zu fördern. Daher wird Bildung (auch im Rahmen dieser Lehrveranstaltung) zu einem dynamischen Prozess, der die Entwicklung von Kompetenzen, Kreativität und Selbsterfahrung in den Vordergrund stellt.
Um die globalen Herausforderungen der Gegenwart erfolgreich zu bewältigen, ist es entscheidend, dass Sie als Change Agents in konkreten Transformationsprozessen agieren können. Im Rahmen der Lehrveranstaltung sollen Sie dazu befähigt werden, sich eigenständig und wirkungsvoll in persönlich relevanten Kontexten zu engagieren. Dabei geht es uns nicht nur um die Vermittlung kognitiver Fähigkeiten, sondern auch um die Berücksichtigung motivationaler & emotionaler Beweggründe, die Ihr individuelles Handeln beeinflussen.
Die VR-Learning-Journeys sollen einen ersten Schritt in Richtung einer Transformative Literacy machen, die Sie dazu befähigen soll, Informationen aus der Gesellschaft und den natürlichen Ökosystemen aufzunehmen, sie in ein umfassendes Verständnis über Systeme & Transformationspfade zu integrieren und darauf basierend eigene Handlungen zu gestalten. Letztendlich sollen Sie dazu ermächtigt werden, gesellschaftliche Verhältnisse & Systeme kritisch zu hinterfragen und im Sinne der Nachhaltigen Entwicklung neu zu gestalten. Dies schließt die Fähigkeit ein, gesellschaftliche Strukturen & Prozesse zu analysieren sowie kreative Lösungen für komplexe Probleme zu entwickeln.
@DALL-E
BNE = Business as usual?
Die Agenda 2030 stellt einen weitreichenden Rahmen für die internationale Gemeinschaft dar. Die SDGs adressieren viele drängende Herausforderungen unserer Zeit; darunter auch eine Vielzahl von Bildungsfragen. So umfasst das SDG 4 das Ziel, dass bis 2030 alle Lernenden das notwendige Wissen und die Fähigkeiten erwerben, um nachhaltige Entwicklung zu fördern.
Auch wenn viele Bildungsangebote im Kontext der Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) unterschiedliche Nachhaltigkeitsaspekte in ihren ökologischen, ökonomischen und sozio-kulturellen Dimensionen thematisieren und deren Wechselwirkungen aufzeigen, fehlt es oft an einer tiefgehenden Reflexion dominanter, nicht-nachhaltiger Alltagsideologien.
Das Konzept der transformativen Bildung wurde maßgeblich durch das Gutachten Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) aus dem Jahr 2011 bekannt. In diesem Gutachten plädiert der WBGU für eine vollständige Dekarbonisierung der Wirtschaft und ein damit einhergehendes umfassendes Zivilisationsprojekt der Menschheit.
„Die historisch einmalige Herausforderung besteht darin, einen umfassenden Umbau aus Einsicht, Umsicht und Voraussicht voranzutreiben.“ (WBGU, 2011: 5)
Ein Grund für den Erfolg der Integrierung von nachhaltiger Entwicklung und BNE liegt möglicherweise in ihrer konzeptuellen Vagheit. Der individuelle und gesellschaftliche Such-, Lern- und Gestaltungsprozess nachhaltiger Entwicklung hat in den vergangenen Jahren eine enorme Integrationskraft für unterschiedliche politische Positionen entfaltet (Stoltenberg & Burandt, 2014). Gleichzeitig besteht jedoch die Gefahr, dass dieser Prozess kritischere Perspektiven, wie etwa die der starken Nachhaltigkeit, marginalisiert und zu einer Depolitisierung ökologischer und sozialer Debatten beiträgt (Fatheuer et al., 2015). Häufig wird nachhaltige Entwicklung mit Argumentationen einer neoliberalen Wachstumslogik in Einklang gebracht, was die transformative Kraft der BNE schwächt.
Problematisch an vielen Programmen zur Institutionalisierung von BNE ist zudem, dass sie oft nur auf der institutionellen und nicht parallel auf der individuellen Ebene ansetzen. Viele Projekte zeigen zwar eine gewisse Wirkung hinsichtlich des Nachhaltigkeitswissens junger Menschen, berühren jedoch nur sehr eingeschränkt deren Haltungen und Verhalten (Niebert, 2016). Dies führt zu einem Rückzug der BNE auf das ‚Brundtland-Mantra‘, welches eine vermeintliche Passung von Nachhaltigkeit und wirtschaftlichem Wachstum suggeriert und damit einer kritischeren Ausrichtung in der BNE entgegensteht (Selby & Kagawa, 2010).
Selby und Kagawa (2010) kritisieren die unkritische und stillschweigende Annahme von Wirtschaftswachstum als einzigem Paradigma sowie den instrumentellen und utilitaristischen Blick auf Natur und Ökosysteme, der in vielen BNE-Ansätzen vorherrsche. Sie fordern stattdessen eine stärkere Reflexion und Hinterfragung von nicht-nachhaltigen Werten, Normen und Ideologien, die unsere Gesellschaft prägen (Selby & Kagawa, 2011). Dies schließt die Reflexion historisch bedingter Macht- und Herrschaftsverhältnisse ein, die das gegenwärtige ökonomische und soziale Gefüge beeinflussen (Danielzik, 2013).
Die Probleme einer nicht-nachhaltigen, wachstumsorientierten Gesellschaft äußern sich in der Nachhaltigkeitsdebatte insbesondere in Gerechtigkeitsfragen, Globalisierungskritik und alternativen ökonomischen Modellen. Allerdings sind BNE-Projekte oft eingezwängt in schulische Strukturen, was ihre transformative Wirkung einschränkt (Michelsen et al., 2015). Diese strukturellen Beschränkungen können zu Widersprüchen zwischen gesellschaftlicher Praxis und den vermittelten Inhalten führen, was bei den Lernenden mindestens zu einer kognitiven Dissonanz, wenn nicht sogar zu einer problematischen Einrichtung in gelebte Widersprüchlichkeit führt (Festinger, 1957). In vielen Fällen bleibt die genuin nicht-nachhaltige Praxis der ‚Normalbetrieb‘, der durch Reflexionsprozesse über nachhaltige Handlungen nicht gestört wird.
Um eine echte Transformation zu erreichen, muss die BNE über die bestehenden institutionellen Rahmen hinausgehen und kritischere, radikalere Perspektiven integrieren, die die tief verwurzelten ökonomischen und sozialen Strukturen in Frage stellen. Es ist notwendig, das bestehende Imaginäre bzw. die individuellen Bedeutungsperspektiven zu desorientieren und neue, nachhaltigere Bedeutungsrahmen zu entwickeln, die den Weg zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft ebnen können.