Wie lässt sich nachhaltigkeitsrelevantes Verhalten nun erklären?
Nachhaltigkeitsbezogene und soziale Werthaltungen spielen eine bedeutende Rolle bei der Förderung von nachhaltigem Verhalten. Diese Werthaltungen umfassen nicht nur ein allgemeines Umweltbewusstsein, sondern auch persönliche und soziale Normen, die das individuelle Handeln beeinflussen. In den 90er Jahren gingen viele Wissenschaftler:innen davon aus, dass Werthaltungen in aktivierte Verpflichtungsgefühle (in Konkurrenz zu sozialen Erwartungen und subjektiven Normen) überführt werden müssen, damit sie handlungswirksam werden können. Andere Forscher:innen vermuteten, dass umweltbezogene Normen und Werte nur dann das umweltrelevante Verhalten beeinflussen, wenn die individuellen ‚Kosten‘ für das Verhalten niedrig ausfallen. Andernfalls würden eher externe Faktoren wie die Verfügbarkeit von Ressourcen und Möglichkeiten zur Kompensation für einen Zeit- oder Komfortverlust die Entscheidungsmomente dominieren.
Zusätzlich könnten Habitualisierungen als Barrieren wirken, die es erschweren, interne nachhaltigkeitsbezogene Motive in Handlungen umzusetzen. Dabei wird sich auf den Grad bezogen, in dem eine Verhaltensentscheidung routinemäßig getroffen wird.
Gleichzeitig wird die Entscheidung zur Nutzung von Ressourcen selten ausschließlich von nachhaltigkeitsbezogenen Motiven bestimmt. Stattdessen dienen diese ressourcenrelevanten Verhaltensweisen oft der Befriedigung anderer Zwecke; wie die der Erfüllung von Mobilitätsbedürfnissen durch das Autofahren oder der Befriedigung von Qualitäts- & Komfortbedürfnissen sowie Selbstinszenierungswünschen durch den Kauf von Kleidung.
Erst in der systemischen Betrachtung und sozial vermittelt, kann das Individuum wahrnehmen, dass eine Handlungsentscheidung potenziell negative ökologische / soziale / ökonomische Handlungsfolgen hat. Umweltrelevante Alltagshandlungen werden stets durch eine Vielzahl von Motiven beeinflusst und sind nicht ausschließlich auf einzelne nachhaltigkeitsbezogene Anliegen zurückzuführen.
Wie kann nachhaltigkeitsrelevantes Verhalten gefördert werden?
Das Bereitstellen von Informationen über Problemstellungen im Zusammenhang mit Umwelt- & Nachhaltigkeitsfragen trägt zwar dazu bei, das Wissen der Menschen zu erweitern, führt jedoch nicht zwangsläufig zu direkten Verhaltensänderungen. Insbesondere in Bereichen, in denen das individuelle Verhalten weniger starken oder direkten Einfluss auf die Umwelt hat (z.B. alltägliche Ernährungsentscheidungen oder persönlicher Stromverbrauch), spielen Umweltschutz- & Nachhaltigkeitsmotive eine größere Rolle. Durch die Bereitstellung von Informationen über Problemstellungen und die Darstellung von Handlungsmöglichkeiten können jedoch auch die Selbstinitiative und Veränderungsbereitschaft angeregt werden.
Besonders bei Verhaltensweisen mit geringen persönlichen Kosten zeigen sich starke Spillover-Effekte. Das bedeutet, dass selbst wenn der direkte Einfluss einzelner nachhaltiger Verhaltensweisen ggf. begrenzt ist, sie dennoch positive Auswirkungen auf andere, relevantere Verhaltensweisen haben können. Dies tritt insbesondere dann auf, wenn aus diesen Einzelbemühungen eine gemeinsame, kollektive Anstrengung entsteht.
Langfristig betrachtet fördert insbesondere das soziale Umfeld (wie zum Beispiel die Familie oder die Peer Group) bestimmte Verhaltensweisen und Einstellungen; so auch das Umweltbewusstsein und wirkungsvolle nachhaltigkeitsrelevante Verhaltensweisen.
@DALL-E
Nachhaltiges Verhalten als Produkt sozialer Prozesse
Der Zielzustand der Nachhaltigkeit umfasst verschiedene sozio-ökologische Dimensionen, wobei im Kern Ressourcen(quellen) sowohl für alle gegenwärtigen als auch zukünftigen Generationen in einem angemessenen Umfang erhalten bleiben sollen. In diesem Kontext spielen soziale Prozesse eine bedeutende Rolle bei der Entstehung und Verbreitung von Normen, die nachhaltiges Verhalten fördern. Dazu gehören sozial-injunktive Normen, die umfassen, was nach Meinung (für das Individuum) relevanter anderer Personen getan werden sollte, sowie deskriptive Normen, die umfassen, was (für das Individuum) relevante andere Personen auch tatsächlich tun. Auch individuell-injunktive Normen, die umfassen, was eine Person nach eigener Ansicht selbst tun sollte, sind von Bedeutung.
Für das Individuum relevante Personen dienen oft als Vorbilder für nachhaltiges Verhalten und beeinflussen auch die eigenen Erwartungen an die Ergebnisse nachhaltigen Verhaltens. Soziale Identität und Gruppenzugehörigkeit spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle, da Mitglieder einer Gruppe das ethische Verhalten anderer Gruppenmitglieder beeinflussen und sich zeitgleich dem ethischen Verhalten der Gruppe anpassen. Aber auch Personen außerhalb der eigenen Bezugsgruppe können eine Kontrollfunktion ausüben, indem durch ihre Anwesenheit das Ausmaß unethischen Verhaltens reduziert wird.
Allein die Diskussion über nachhaltigkeitsorientiertes Verhalten kann dazu beitragen, dieses Verhalten zu verstärken. Auch die erwartete Beteiligung anderer Personen kann die eigene Bereitschaft zu nachhaltigem Handeln erhöhen. Gleichzeitig scheint Rivalität unethisches Verhalten zu fördern.
Nachhaltigkeit ist per Definition eine soziale Zielgröße. Soziale Interaktionen beeinflussen nachhaltiges Verhalten. Nicht zuletzt ist nachhaltiges Verhalten oft ein Gruppenphänomen, das durch die soziale Dynamik geprägt ist.
Bedeutung von Sozialen Gruppen
Menschen zeigen in der Regel ein starkes Streben nach Gruppenzugehörigkeit, wobei sie sich besonders mit den Gruppen identifizieren, die für sie persönlich von großer Bedeutung sind. Diese Identifikation mit der Eigengruppe steht im Zentrum des menschlichen Bedürfnisses nach sozialer Bindung. Es wird angenommen, dass soziale Gruppen einen bedeutenden Teil der individuellen Identität ausmachen und somit maßgeblich zur Konstruktion des individuellen Selbstkonzepts beitragen. Dabei verleihen die Gruppen durch Normen, Werte und Ziele Bedeutung.
Die sozialen Identitäten, die Menschen innehaben, können bis zur Ebene der gesamten Menschheit reichen, wobei in der Regle verschiedene individuelle und kollektive Identitäten ineinander verschachtelt sind. Es wird vermutet, dass die Identifikation mit einer Gruppe besonders dann zu zielgerichtetem Verhalten führt, wenn die Mitgliedschaft zu einer sozialen Gruppe durch gemeinsam geteilte Ansichten & Meinungen charakterisiert wird.
Soziale Gruppen, die auf geteilte Meinungen basieren, formen und verändern sich je nachdem, wie ihre Ziele umgesetzt oder sich ihnen angenähert werden. Diese Gruppen entstehen und festigen sich insbesondere dann, wenn Menschen mit ähnlichen Ansichten miteinander interagieren und konkrete Handlungsstrategien entwickeln. Das gemeinsame Wir-Gefühl wird durch die gegenseitige Bestätigung und Validierung gemeinsamer Ansichten gestärkt; vor allem wenn Gruppenmitglieder das Gefühl haben, dass der aktuelle Status quo ihrer Meinung nach geändert werden sollte.
Meinungsbasierte Gruppen können sich auch in Kontexten bilden und agieren, in denen sich grundverschiedene Akteure auf gemeinsame Ansichten und Ziel verständigen können.
@DALL-E
Nachhaltiges Verhalten: Eine Identitätsfrage?
Kollektive und soziale Identitäten spielen eine entscheidende Rolle als Triebkräfte für sozialen Wandel oder auch als Widerstand gegen Veränderungen. Die Fähigkeit, sich über Gruppen zu definieren, ist eine wesentliche Voraussetzung für eine sozial-ökologische Transformation. Gruppenzugehörigkeiten beeinflussen maßgeblich, ob wir nachhaltigkeitsbezogene Probleme überhaupt als Probleme wahrnehmen und bewerten. Einige Studien aus den USA und der EU legen nahe, dass die Wahrnehmung und Bewertung des Klimawandels stark mit der politischen Gruppenzugehörigkeit zusammenhängen. Es zeigten sich signifikante Unterschiede in der Überzeugung, ob der Klimawandel bereits begonnen hat, ob er menschgemacht ist oder ob er von den Medien übertrieben dargestellt wird.
Doch die Gruppenzugehörigkeit beeinflusst nicht nur die Wahrnehmung und Bewertung umweltrelevanter Themen, sondern auch das Ausmaß, in dem wir nachhaltig handeln. Bereits die Identifikation mit bestimmten sozialen Gruppen, wie beispielsweise umweltbewussten oder nicht umweltbewussten Gruppen, kann entsprechendes Verhalten motivieren. Eine starke Gruppenidentifikation hat das Potenzial, egoistisches Handeln und dessen negative Konsequenzen in sozialen Dilemmasituationen zu mindern.
Soziale Identität kann auch auf globaler Ebene ein wichtiger Faktor für nachhaltiges Verhalten sein. Im Rahmen des Konzepts der Globalen Identität oder Global Citizenship wird angenommen, dass Menschen, die sich als Teil der gesamten Menschheit sehen, eher im Sinne der gesamten Menschheit handeln. Diese Annahme basiert auf der Vorstellung, dass die Identifikation mit einer globalen Eigengruppe dazu führt, dass Individuen eher Maßnahmen ergreifen, die dem Wohle der gesamten Menschheit dienen.
Einige Studien kamen zu dem Ergebnis, dass Menschen, die sich stark mit einer globalen Identität identifizieren, eine größere Bereitschaft haben, sich für die Einhaltung der Menschenrechte einzusetzen, an global tätige Hilfsorganisationen zu spenden und sich für globale Gerechtigkeit zu engagieren. Diese Personen entschieden sich mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für fair gehandelte Produkte und konnten sich eher mit höheren Umweltschutzsteuern arrangieren. Darüber hinaus spendeten sie häufiger an Umweltorganisationen als Menschen, die eine geringer ausgeprägtere globale Identität aufwiesen.
Menschen mit einer ausgeprägten globalen Identität zeigten nachhaltigkeitsorientierte Einstellungen und eine verstärkte Bereitschaft zur transnationalen Kooperation. Es wird angenommen, dass über die Ausprägung einer globalen Identität nachhaltige Einstellungen & Verhaltensweisen konsistent prognostiziert werden können, weil die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen eine notwendige Bedingung für das Überleben der Menschheit ist. Allerdings herrscht noch kein wissenschaftlicher Konsens darüber, wie eine solche globale Identität gefördert werden kann. Positive Kontakte mit Menschen aus anderen Ländern aber vielleicht auch schon die aktive Bewusstmachung unserer Verbundenheit mit der Menschheit als Ganzes könnten mögliche Wege sein.
Es braucht das Kollektiv!