Kurs: Der menschengemachte Klimawandel: Ursachen, Effekte und Lösungswege | OnCourse UB
Lektion 3
Alles hängt miteinander zusammen: Das Geosphärenmodell
als Puzzlespiel
Der Begriff Geosphäre ist vielen vielleicht noch aus dem Geographieunterricht bekannt. Allerdings hat sich die Begriffsbedeutung in den letzten Jahren verändert. Im griechischen Wortstamm stecken die Begriffe Erde und Kugel. Der berühmte Geograph Friedrich Ratzel (1844 – 1904) verstand unter Geosphäre lediglich die äußeren Gesteinsschichten der Erde. Alte Geosphärenmodelle zeigen deshalb nur einen Querschnitt durch den festen Erdkörper, in dem verschiedene Schalen dargestellt sind, die als Asthenosphäre, Lithosphäre usw. bezeichnet sind.
Einige der am häufigsten Dargestellten Geosphären sind die:
Atmosphäre (gasförmige Hülle)
Hydrosphäre (Gesamtheit des Wassers)
Biosphäre (Gesamtheit der Lebewesen)
Reliefsphäre (Gesamtheit der festen Oberflächenformen)
Lithosphäre (äußerste Schicht des Erdkörpers)
Pedosphäre (oberster, belebter Teil der Erdkruste; Boden)
Anthroposphäre (vom Menschen beeinflusster Raum)
Die Schalenmodelldarstellung stößt dabei an ihre Grenzen:
Die Darstellung von übereinanderliegenden Schalen kann die falsche Vorstellung hervorrufen, dass die Schalen untereinander nicht in Beziehung stehen. Man könnte zum Beispiel meinen, dass die Atmosphäre, die ganz oben dargestellt ist, in keinerlei Beziehung zu der viel weiter unten dargestellten Lithosphäre steht. Dabei ist genau dieser Zusammenhang (wie unzählige andere Zusammenhänge auch) für die Klimakrise sehr bedeutend.
Beispiel Zementindustrie
Die Zementindustrie ist beispielsweise für ca. acht Prozent der weltweiten Kohlenstoffdioxidemissionen verantwortlich
und wird deshalb oft als größte „Klimasünderin“ schlechthin bezeichnet. Letztendlich
ist der Grund für die hohen Emissionen, dass Kohlenstoff bei der Zementherstellung aus der Lithosphäre (in Form von Kalkstein für das Endprodukt und in Form
von fossilen Rohstoffen im Zuge des horrenden
Energieaufwands bei der Herstellung) in die Atmosphäre überführt wird.
Und zweitens stößt das Schalenmodell wortwörtlich an seine Grenzen,
weil es trennscharfe Grenzen vorgibt, die in der Realität aber nicht
existieren.
Denn wie könnten beispielsweise Atmosphäre und Hydrosphäre
voneinander abgegrenzt werden? Wer an die Wassertröpfchen in einer Wolke denkt,
wird schnell zum Schluss kommen: Die Atmosphäre kann zugleich ein Teil der
Hydrosphäre sein, und umgekehrt kann die Hydrosphäre zugleich auch ein Teil der
Atmosphäre sein. Genauso wenig können Hydrosphäre und Pedosphäre trennscharf
voneinander abgegrenzt werden usw. Und ebenfalls ganz wichtig für das
Schwerpunktthema dieses Kapitels: Wo beginnt und wo endet die Anthroposphäre?
Gibt es überhaupt eine Stelle im gesamten Erdsystem (ausgenommen die tieferen
Erdschichten), die nicht in irgendeiner Weise vom Menschen beeinflusst wird und
deshalb als Anthroposphäre bezeichnet werden muss?
Puzzleteildarstellung des Geosphärenmodells
Allerdings ist es die Aufgabe eines jeden Modells, die Realität zu vereinfachen und auf bestimmte Teilaspekte zu fokussieren. Aus diesem Grund kann uns das Geosphärenmodell als Puzzleteildarstellung in unserem Kontext trotz aller Kritik eine gute Grundlage für ein besseres Verständnis der komplexen Einbettung der Atmosphäre in das Erdsystem mit all seinen Wechselwirkungen dienen.
Dies leitet zur nächsten Lektion dieses Kapitels über und zu der Frage:
Leben wir im Anthropozän?
In der folgenden Lektion steht diese Frage - ob und weshalb wir uns im Anthropozän befinden - im Vordergrund.
Auf das Geosphärenmodell in Puzzleteildarstellung bezogen könnten wir uns demnach mit einem Augenzwinkern fragen:
Ist es gerechtfertigt, dass der Anthroposphäre im Puzzleteilmodell eine Sonderstellung eingeräumt wird?
Ist es plausibel, die Anthroposphäre rot zu färben, weil der Mensch für das Erdsystem gefährlich ist?
Sollte die Anthroposphäre doppelt so groß dargestellt werden wie Hydrosphäre, weil der Mensch für das Erdsystem inzwischen doppelt so einflussreich ist wie die Hydrosphäre?
Fehlt die Kryosphäre als eigenes Teilsystem in der Darstellung, weil der Mensch die Kryosphäre zum Schmelzen bringt?
Oder etwas ernsthafter:
Überschätzt der Mensch seinen Einfluss auf das Gesamtsystem?
Ist der Begriff Anthropozän nicht nur aus einer anthropozentrischen, sondern auch aus einer physiozentrischen oder holistischen Perspektive heraus zu rechtfertigen?
Begrifflichkeiten
Physiozentrismus:
Gegenteil von Anthropozentrismus; der Natur wird ein Eigenwert zugesprochen.
Holismus:
Vorstellung, dass das Ganze mehr ist als die Summe der Einzelteile.