Systemdenken und Nachhaltigkeit in Virtual Reality
Kurs: Systemdenken und Nachhaltigkeit in Virtual Reality | OnCourse UB
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Einführung in den WBGU-Bericht "Unsere gemeinsame digitale Zukunft"
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Introvideo:
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Lern-/Erkundungsziel von Lektion 1:
In dieser Lektion wird der WBGU-Bericht „Unsere gemeinsame digitale Zukunft“ erörtert. Sie lernen, welche Potenziale und Risiken die Digitalisierung für die Transformation zur Nachhaltigkeit mit sich bringt. Indem Sie sich mit positiven und negativen Zukunftsszenarien einer digitalen Welt auseinandersetzen, werden Sie ein sensibles und reflexives Verständnis dafür entwickeln, wie wichtig eine aktive Gestaltung der Digitalisierung für eine nachhaltige Entwicklung ist.
Wer oder was ist der WBGU?
Der WBGU ist der „Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“. Der WBGU erstellt wissenschaftliche Analysen, Konzepte und Lösungsansätze für die globale Nachhaltigkeit und steht im Austausch mit Politik, Gesellschaft und internationalen Organisationen. Der WBGU arbeitet unabhängig, interdisziplinär und mit systemischen Ansätzen. Der Beirat steht unter der Federführung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Der WBGU besteht aus neun Professor:innen, die für eine Dauer von vier Jahren vom Bundeskabinett berufen werden. Der Beirat erstellt regelmäßige Gutachten zu bestimmten Nachhaltigkeitsthemen, die u. a. der Bundesregierung, in Ausschüssen des Deutschen Bundestags und Konferenzen der Vereinten Nationen präsentiert werden. Im Jahr 2019 erschien der WBGU-Bericht „Unsere gemeinsame digitale Zukunft“, der die Themen der Digitalisierung und Nachhaltigkeit gemeinsam unter die Lupe nimmt.
Kernaussage des Berichts:Digitalisierung soll in den Dienst der globalen Nachhaltigkeit gestellt werden.
Der WBGU-Bericht betont die Notwendigkeit, digitalen Wandel und Transformation zur Nachhaltigkeit konstruktiv miteinander zu verbinden. Digitalisierung kommt nicht einfach „auf uns zu“, sondern ist menschengemacht und muss deshalb aktiv gestaltet werden. Angesichts der Potenziale und Risiken, die die Digitalisierung für eine Transformation zur Nachhaltigkeit mit sich bringt, braucht es eine aktive Steuerung und Gestaltung der Politik, um Potenziale der Digitalisierung für eine nachhaltige Entwicklung zu nutzen und Risiken, die die Umweltzerstörung im Zuge der Digitalisierung beschleunigen, zu vermeiden.
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Die drei Dynamiken des digitalen Wandels.
Ausgehend von den Wechselwirkungen der Nachhaltigkeitsziele mit digitalen Technologien sowie gesellschaftlichen und ökonomischen glaub ich sehr gut in drei Lernvideos umsetzbar, mit grafischer Unterstützung
Die erste Dynamik ist die Digitalisierung für Nachhaltigkeit und betrifft das konkrete Zusammendenken von Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Digitalisierung muss kurzfristig genutzt werden, um als Mittel für die Lösung von Nachhaltigkeitsproblemen zu dienen. Damit das Erdsystem geschützt und soziale Kohäsion gesichert wird, müssen digitale Technologien so eingesetzt werden, dass sie den Menschen weltweit Zugang zu Gesundheitsversorgung, Energie und Bildung ermöglichen und gleichzeitig die Umweltzerstörung verhindern.
Der WBGU hat eine Reihe von digitalen Potenzialen identifiziert, die positiv auf eine Transformation zur Nachhaltigkeit hinwirken. So ist die Digitalisierung Voraussetzung für die Dekarbonisierung des Elektrizitätssektors, indem sie die Integration erneuerbarer Energiequellen in die Stromnetze ermöglicht. Für die Dematerialisierung, Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft bestehen große Potenziale der Digitalisierung, die jedoch noch längst nicht ausgeschöpft sind. V.a. beim Thema Elektroschrott braucht es neue Möglichkeiten zum Monitoring, Geschäftsmodelle sowie weitere digitale Dienstleistungen, um eine vollständige Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen. Digitalisierung fördert außerdem nachhaltigere Konsummuster durch größere Informations- und Angebotsvielfalt und andere neue Dienstleistungen, wie bspw. die Sharing-Ökonomie. Im Bereich der Landwirtschaft ermöglicht Digitalisierung eine sog. Präzisionslandwirtschaft sowie digitalen Zugang zu Agrarinformationen und Beratung für Entwicklungsländer.
Präzisionslandwirtschaft bezeichnet die Ertragssteigerung bei gleichzeitiger Verringerung der Umweltschäden, indem sensorische Messungen, Monitoring und satellitengestützte Positionsbestimmung dazu genutzt werden, landwirtschaftliche Maschinen zu vernetzen und präzise sowie intelligent zu steuern. Die Digitalisierung bietet allgemein viele Möglichkeiten des Monitorings der Ökosysteme und biologischer Vielfalt, um z. B. Übernutzung und illegale Aktivitäten zu verhindern. Die Digitalisierung könnte einen Weg zu einem kollektiven Weltbewusstsein für nachhaltige Entwicklung schaffen. Digitalisierung fördert auch soziale Kohäsion, bspw. durch einen erleichterten Zugang zu Bildung, digitalen Gemeingütern und verbesserten öffentlichen Diskurs. Ohne Gestaltung und Steuerung der Digitalisierung können digitale Technologien jedoch einer nachhaltigen Entwicklung sogar entgegenwirken. Die Gefahren der Digitalisierung bestehen darin, dass Prozesse beschleunigt werden, die derzeit noch überwiegend auf fossilen Energieträgern und Ressourcenextraktion beruhen. Digitale Technologien verbrauchen selbst viel Energie und Ressourcen bei der Produktion (z. B. strategische Metalle und Seltene Erden) und einer kurzlebigen Nutzung. Eine steigende Anzahl an vernetzten Geräten braucht auch viel Energie für die Datenübertragung. Eine steigende Energieeffizienz könnte diesem Problem entgegenwirken, die jedoch zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht hoch genug ist, sodass die Energienachfrage weiterhin rasant zunimmt. Auch Möglichkeiten des Onlinehandels haben sozial und gesellschaftlich negative Folgen. Auch die Nutzung von Digitalisierungspotenzialen für eine nachhaltige Entwicklung geht direkt mit neuen Risiken einher, da eine Menge an Daten erhoben werden muss. Somit stellen sich Fragen nach Datensicherheit, Nutzungsrechten, Entscheidungsgewalten, Privatheit und Monopolisierung - wer die Daten nutzen darf, wer bestimmte Algorithmen entwirft, wer von neuen Geschäftsmodellen profitiert, welche Abhängigkeiten entstehen, welche Entscheidungen noch von Menschen getroffen werden, u.v.m.
Eine weitere Gefahr besteht darin, dass ärmere Bevölkerungsschichten und Minderheiten einen erschwerten Zugang zu Informations- und Kommunikationstechniken bekommen, sodass ihnen die Teilhabe an der digitalisierten Gesellschaft erschwert wird und sie Diskriminierung zu befürchten haben. Solche Entwicklungen gefährden die menschliche Würde. So gefährdet zunehmende (digitale) Ungleichheit die soziale Kohäsion der (Welt-)Gemeinschaft. Auch zunehmende Machtkonzentrationen sind ein Trend, der sich bereits bei den fünf wertvollsten Unternehmen der Welt abzeichnet - Digitalkonzerne. Machtvolle Zugriffsmöglichkeiten und der Missbrauch von Daten von Milliarden Nutzer:innen könnten Autokratien erwachsen lassen. Zusätzlich könnten sich technische Entwicklung hin zu einer gesellschaftlichen Totalisierung und individuellen Gläsernheit ergeben, wodurch sich Bürgerrechte und die Privatheit der Menschen in Gefahr sehen. Letztendlich könnten Regierungen sich mit der hohen Geschwindigkeit digitaler Entwicklungen überfordert sehen, sodass es zu einer Erosion der Steuerungsfähigkeit kommt. Bereits jetzt fehlt es Regierungen an ausreichender Expertise, um die Potenziale der Digitalisierung zu nutzen und zu verhindern, dass selbstlernende Technologien der menschlichen Kontrolle entgleiten. Die WBGU empfiehlt deshalb ausdrücklich, dass die Gesellschaft jetzt ins Handeln kommt, um Digitalisierung in den Dienst der globalen Nachhaltigkeit zu stellen.
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Die zweite Dynamik bezieht sich auf nachhaltige digitalisierte Gesellschaften und nimmt somit Veränderungen in gesellschaftlichen und ökonomischen Bereichen, die durch die Digitalisierung vorangetrieben werden, in den Blick. Es geht darum, zum jetzigen Zeitpunkt bereits Vorkehrungen für mittelfristig absehbare gesellschaftliche Umbrüche zu treffen, z. B. für die absehbare Automatisierung der Arbeitsmärkte und die Auswirkungen der vernetzten Weltgesellschaft. In vielen Bereichen, z. B. Arbeit, Landwirtschaft, Mobilität, Stadtentwicklung, Demokratie und Ungleichheit, ist die Richtung der Entwicklung mittel- und langfristig noch nicht bestimmt. Deshalb muss hier gestaltend eingegriffen werden, um die Entwicklungen in eine richtige Richtung zu lenken. Digitale Potenziale müssen im Bereich der Wirtschaft genutzt werden, um eine immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich sowie stark einseitige Wertschöpfung zugunsten weniger globaler Konzerne vorzubeugen. Mithilfe von digitalen Technologien könnten Steuerungsansätze (z. B. zur Wettbewerbskontrolle) weiterentwickelt werden. Des Weiteren braucht es den Schutz von Privatsphäre, um die Grundlagen der Demokratie zu erhalten. Wichtige Bausteine sind ein effektives Datenschutzrecht, eine reflektierte Medienpolitik sowie Bildungsinitiativen für die digitale Mündigkeit. Eine mögliche positive Entwicklungsperspektive ist der „neue Humanismus“. Durch die Digitalisierung kann menschliche Neugier, Vielfalt und Körperlichkeit von materiellen Einschränkungen und strukturellen Zwängen befreit werden.
Mithilfe von Technologien kann eine Stärkung der Menschlichkeit erreicht werden, indem transnationale Kommunikation, Vernetzung und Informations- und Wissenserweiterung gefördert werden. So können menschliche Fähigkeiten wie Kooperation und Empathie vertieft werden. Eine mögliche negative Entwicklungsperspektive ist dagegen ein digitaler Totalitarismus, in dem eine Totalüberwachung der echten Privatheit ein Ende setzt. Auch die Verlagerung von Entscheidungen auf digitale Systeme kann im schlimmsten Fall Demokratien mit gesellschaftlicher Entscheidungsfindung aushöhlen. Wirtschaftsunternehmen könnten durch unregulierte Monopolisierungen ihre Machtkonzentrationen und den Naturverbrauch intensivieren. So könnten sich digitale Eliten mit politischer und ökonomischer Macht bilden, die die einen exklusiven Zugang zu Datenbasen und Resten an intakter Natur haben, Nachhaltigkeitserrungenschaften zunichtemachen und Umweltzerstörung vorantreiben. Solch eine Entwicklung würde Ungleichheiten verstärken und soziale Kohäsion zerstören. Sowohl Politik, Institutionen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sollten mit einer Digitalisierungskompetenz ausgestattet werden, um gesellschaftliche Reflexivität und Handlungsfähigkeit zu unterstützen und damit zukünftige Wirkungen der Digitalisierung zu antizipieren und zu gestalten. Diese Entwicklungen müssen durch politische Maßnahmen so begleitet werden, dass das Gemeinwohl und die soziale Kohäsion nicht unter den Entwicklungen leiden.
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Die dritte Dynamik bezieht sich auf die langfristige Zukunft des Homo sapiens. Die Weltgemeinschaft steht vor der Aufgabe, eine gemeinsame Vorstellung eines wünschenswerten Menschenbildes und der Mensch-Umwelt-Verhältnisse in der digitalisierten Welt zu entwickeln. Die Bewahrung des biologischen Menschen auf dem Planeten, eingebettet in seine Gesellschaften, könnte als das „ultimative Nachhaltigkeitsproblem“ angesehen werden. Gleichzeitig sollte es laut WBGU das oberste Ziel sein. Der „Homo digitalis“ (Mensch im Digitalen Zeitalter) muss sich mit kognitiv leistungsfähigen Maschinen („Machina sapiens“) auseinandersetzen, die Intelligenz nachahmen und autonome Entscheidungen treffen. Das verändert das Selbstverständnis und Selbstbild der Menschen. Eine Abgrenzung gegenüber Maschinen kann gelingen, indem der Mensch seine emotionalen und sozialen Alleinstellungsmerkmalestärkt: Emotionalität, Empathie und soziale Gemeinschaft. Es besteht jedoch die Gefahr einer zukünftigen, maschinellen „Superintelligenz“, die Macht über Menschen erlangen könnte. So bestehen auch Visionen der Überwindung des biologischen Körpers, indem menschliche Identitäten in digitalen Maschinen „hochgeladen“ werden. Dadurch droht die Grenze zwischen Mensch und Maschine zu verschwimmen. Deshalb besteht die Aufgabe darin, das Mensch-Maschine-Verhältnis positiv zu gestalten. Weitere Fragen eines ethischen Menschenbildes betreffen die „künstliche Evolution des Menschen“, bei der digitale Gentechnik zur Veränderung des menschlichen Genoms genutzt werden kann.
Somit sind Fragen der Ethik und Menschenwürde zu klären und ihnen gesellschaftliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Der WBGU schlägt drei Gedankenspiele zukünftiger Menschenbilder vor.
1) Die Menschheit kommt zu sich selbst. Da KI die kognitiven Leistungen der Menschen übertreffen und somit übernehmen kann, kann der Mensch sich auf seine emotionalen und sozialen Alleinstellungsmerkmale konzentrieren. Damit würde die „harte“ Klischeevorstellung des Supermenschen mit Computergehirn von einer „weichen“ Vision des gesellschaftlichen Fortschritts verdrängt werden.
2) Der Mensch schafft sich Gefährten. KI-befähigte Wesenheiten könnten zu loyalen Weggefährten des Menschen werden und die Gesellschaft somit noch lebenswürdiger machen. Digitale Assistenten können z.B. monotone Aufgaben übernehmen, beim Lernen und Verstehen unterstützen und dem Menschen dabei helfen, sich selbst und seine Umwelt stärker wertzuschätzen.
3) Der Mensch erfindet seine Meister. Es stellt sich die Frage, ob mit fortschreitenden technologischen Möglichkeiten nicht nur bewusste, sondern auch beseelte künstliche Identitäten mit autonomer Willensbildung und Reproduktion entstehen können. Das stellt zwar Herausforderungen für die Menschenwürde dar, lässt aber auch den Gedanken aufkommen, ob die Verbindung von emotionalen und sozialen Fähigkeiten des Menschen mit den kognitiven Fähigkeiten der Maschinen eine Koevolution ermöglicht, deren Geschöpfe sogar größere Humanität besitzen könnten. Die fundamentalen Fragen der zukünftigen menschlichen Identität brauchen den breiten gesellschaftlichen Diskurs und staatliche Gestaltung der Grenzziehung, anstatt von der Eigendynamik kommerzieller Interessen getrieben zu werden. Die Grenzziehung bezieht sich sowohl auf ethische Bereiche als auch die Frage, wo die Grenzen des menschlichen Eingriffs in die Natur gezogen werden müssen.
Abbildung 1: Drei Dynamiken des digitalen Wandels (Quelle eigene Darstellung VAN (2024), angelehnt an WBGU (2019), S. 308)
Die Dynamiken laufen parallel bereits heute an, jedoch mit unterschiedlicher Intensität. Darunter sind Potenziale und Risiken aufgeführt.
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