Kurs: Der menschengemachte Klimawandel: Ursachen, Effekte und Lösungswege | OnCourse UB

  • Lektion 3

    • Hürden. Psychologische Faktoren, die das realitätsbezogene Erfassen der Klimakrise erschweren


      In dieser Lektion wird die Lücke zwischen Wissen und Handeln anhand von Abwehrmechanismen und kognitiven Verzerrungen erkundet. Auch die „Drachen der Untätigkeit“ nach Robert Gifford werden hier angetroffen.
      (Gifford, R. (2011). The dragons of inaction: Psychological barriers that limit climate change mitigation and adaptation. American Psychologist, 66(4), 290–302. https://doi.org/10.1037/a0023566)




      Bild: Jai Wanigesinghe, Lizenz:
      CC-BY-SA 4.0
    • Einleitung

      Es gibt auf gesellschaftlicher, wie auch auf individueller Ebene eine Diskrepanz zwischen dem Wissen um den Treibhauseffekt und dem daraus folgenden Handeln. Dies liegt auf gesellschaftlicher Ebene auch daran, dass es sog. gesellschaftliche „Verharrungskräfte“ gibt, deren Interesse es ist, klimagerechte Anpassungen und Veränderungen zu verhindern, da sie an dem Status Quo gut verdienen und kurzfristige über langfristige Ziele priorisieren. Es liegt sicherlich auch an der Komplexität und dem schieren Umfang der nötigen Veränderungsprozesse. Auch auf individueller Ebene ist die Lücke zwischen Wissen und Handeln beobachtbar. Menschen steigen ins (Verbrenner-) Auto oder essen Fleisch, obwohl sie wissen (müssten), dass die Klimakrise brandgefährlich ist und diese Verhaltensweisen zur Verschärfung derselben beitragen. Und obwohl auf gesellschaftlicher Ebene der gesetzliche Rahmen für Klimaschutz gesetzt ist, scheint die Wichtigkeit des Themas eine Sache der Einstellung zu bleiben. Wie passt das zusammen? Das ist eine psychologische Frage.

      1. Mangelnde Wahrnehmung der Bedrohlichkeit aufgrund der Abstraktheit und Langfristigkeit der Krise
       Die Wahrnehmung der Bedrohlichkeit der Klimakrise fällt schwer, da sie keine unmittelbar spürbare Bedrohung darstellt. Unser nervliches „Alarmsystem“, erstmals untersucht von dem US-amerikanischen Physiologen Walter Cannon 1915, ist auf direkte Gefahren, wie bspw. den Angriff eines Raubtieres, eingestellt. In Tab. 1 wird herausgearbeitet, wie sich die Bedrohung der Klimakrise von einer klassischen Gefahrenlage unterscheidet.

      Dabei wird deutlich, dass analytisches und abstraktes Denken eine Voraussetzung dafür sind, die Art der Bedrohlichkeit überhaupt zu erfassen. Und die Konsequenzen der Klimakrise, wie Extremwetterereignisse, die durchaus bedrohlich sind, sind „nur“ die Folgen der Krise, enthalten jedoch keine Informationen über die Art der Krise und den Umgang mit ihr. Zudem entsteht aufgrund der Komplexität der Klimakrise eine Verantwortungsdiffusion. Es hat keine unmittelbar negativen Konsequenzen, wenn jemand dem Thema aufgrund seiner inhärenten Herausforderungen ausweichen möchten. Das heißt, niemand muss sich um das Thema Klimakrise kümmern, falls es zu unbequem erscheint. Es ist also eine leicht zugängliche und im Erleben unmittelbar angenehme Alternative, sich abzugrenzen und bagatellisierenden Informationen zu folgen. 


      Als Reaktion auf eine Bedrohung folgen Kampf, Flucht oder Freeze, eine Bewegungslosigkeit bei erhöhter Aufmerksamkeit, wenn Kampf oder Flucht nicht möglich sind. Bei einer direkten Auseinandersetzung mit der Klimakrise sind alle diese Reaktionen beobachtbar. Unter „Kampf“ fällt bspw. Aktivismus, u.U. ohne Rücksicht auf die eigenen Grenzen der Belastbarkeit, unter Flucht fällt das Vermeiden und Bagatellisieren, unter Freeze fällt die Überschwemmung von negativen Gefühle von bspw. Angst und Traurigkeit, Passivität und Ohnmacht. 

      Da die Klimakrise langsam voranschreitet, gibt es eine anhaltende Bedrohung ohne zeitliche Begrenzung. Es ist für den Organismus jedoch nicht möglich, dauerhaft in einer Kampf, Flucht oder Freeze-Reaktion zu verbleiben. Was dafür hilfreich ist, sich einerseits den bedrohlichen Fakten zu stellen und andererseits psychisch in Balance zu bleiben, darum geht es in Lektion 4 zum Thema psychische Resilienz.

    • 2. Wie die Angst die Wahrnehmung und den Verstand verschleiern kann
      Da man der Klimakrise nicht räumlich ausweichen kann, finden wir auf der Seite der Fluchtreaktion gedankliche, also kognitive und psychodynamische Ausweichmanöver, die es uns ermöglichen, die Bedrohung nicht (oder nicht in voller Stärke) spüren zu müssen. Abwehrmechanismen und Vermeidungsstrategien gegenüber überfordernden Reizen und Gefühlen hält unser psychischer Apparat regelhaft parat. Sie helfen uns, im Alltag zurechtzukommen und den Fokus auf das für uns in diesem Moment Wichtigste zu erhalten. Und: sie werden automatisch, ohne unser bewusstes Zutun, eingesetzt. D.h. dass ich gerade vor etwas fliehe, merke ich selber in dem Moment nicht unbedingt.

      Eher fällt einem die eigene Vermeidungsleistung dann auf, wenn man entweder in einer beruhigteren Lage ist und besser reflektieren kann, oder wenn man durch äußere Ereignisse dazu gezwungen wird, sich zu korrigieren. Dies wird in der Grafik beispielhaft dargestellt. Die Person verlässt bei der Konfrontation mit den Nachrichten zur Klimakrise scheinbar zufällig den Raum und entzieht sich dem als unangenehm empfundenen Reiz. Ihre eigene Belastbarkeitsgrenze wurde überschritten und sie flieht. Faktoren wie ein sympathischer Gesprächspartner (weniger wahrgenommene Bedrohung), größere Ausgeruhtheit (mehr Kapazität für Belastung) oder direkte eigene Betroffenheit (langfristige Investitionspläne an Küsten oder trockenen Orten, oder akute Katastrophen wie Überschwemmungen) können dazu führen, dass die Vermeidung gegenüber den unangenehmen Informationen aufgegeben wird.

      Der Begriff der Abwehrmechanismen geht auf die psychodynamische Theorie nach Sigmund Freud zurück. Sie dienen dazu, unangenehme Gefühle, Konflikte oder Realitäten zu verdrängen, zu verarbeiten oder zu minimieren. Im Kontext der Wahrnehmung der Klimakrise können verschiedene Abwehrmechanismen wirksam sein, um die mit der Klimakrise verbundenen Ängste, Schuldgefühle oder Unsicherheiten zu bewältigen. Folgende Beispiele führt Delaram Habibi-Kohlen (2021) auf:
    • Nach Habibi-Kohlen sind die oben genannten Formen der Verleugnung auch deshalb so stabil, weil die wissenschaftliche Faktenlage gar nicht abgestritten wird. Sie wird gesehen, aber in ihren Konsequenzen für bedeutungslos erklärt. Jeder Mensch hat zu einem gewissen Grad eine abwehrende Haltung gegenüber der Klimakrise, um sein alltägliches Funktionieren zu gewährleisten. Denn sie ist in sich identitätserschütternd. Sie löst Ängste vor Verlust vom eigenen Besitz aus, und vom eigenen Lebensstil, des Ansehens, Bequemlichkeit und damit Gefühle von Sicherheit ermöglicht. Auch Schuldgefühle für die Mittäterschaft durch den eigenen Lebensstil sind virulent (vgl. auch Weintrobe, 2012).

      Und je mehr Bedrohung wahrgenommen wird, desto stärker wächst die Abwehr. D.h. mehr Informationen über die Klimakrise führen nicht automatisch zu mehr Wissen, sondern erhöhen die Schutzmechanismen. Daher ist es wichtig, die Auseinandersetzung mit den bedrohlichen Fakten gut zu dosieren und sie mit Möglichkeiten des Handelns zu ergänzen, damit mögliche Ohnmachtsgefühle aufgefangen werden und Menschen sich als handlungsfähig wahrnehmen können.
    • 3. Kognitive Verzerrungen
      Unser Verstand ist kein Rechner. Daher entstehen bei der Wahrnehmung, Erinnerung oder Interpretation von Informationen systematische Fehler, die in der Kognitionspsychologie untersucht und benannt werden. Auch in der Wahrnehmung der Klimakrise können solche Verzerrungen passieren, hier vier Beispiele:

      1. Optimistische Verzerrung: Wenn wir glauben, ein vorausgesagtes Unglück wird uns persönlich schon nicht betreffen oder dass es gar nicht erst eintritt.

      2. Bestätigungsfehler: Wir suchen uns Informationen so heraus, dass sie zu unseren Einstellungen passen.

      3. Single Action Bias: Wenn wir uns wegen der Klimakrise unwohl fühlen, reicht schon eine einzelne kleine Handlung, um unser Gefühl zu verbessern.

      4. Present Bias: Wir gewichten die Gegenwart stärker als die Zukunft.

    • 4. Die sieben Drachen der Untätigkeit
      Der kanadische Umweltpsychologe Robert Gifford veröffentlichte schon 2011 seine sehr griffig strukturierten Überlegungen dazu, welche psychologischen Hindernisse den Menschen davon abhalten, sein Wissen in Handeln umzusetzen: die sieben Drachen der Untätigkeit.
    • Falls Du den Mut hast, Deine eigenen Drachen der Untätigkeit kennenzulernen, kannst Du sie anhand dieser Tabelle treffen (auf Englisch):
      https://dragonsofinaction.net/wp-content/uploads/2015/12/Dragon-Diagnosis.pdf

    • Literatur und Quellen

      • Bronswijk, K.v., Komm, J.-O., Zobel, I. (2021) “Die Evolution der Drachen der Untätigkeit”. In: Dohm et al (Hrsg.) Climate Action - Psychologie der Klimakrise. Gießen: Psychosozial - Verlag
      • Weintrobe, Sally (2023): Psychische Ursachen der Klimakrise. Neoliberaler Exzeptionalismus und die Kultur der Achtlosigkeit. Gießen: Psychosozial Verlag

      • Rees, J. und Lamberty, P. (2022): “Eine bequeme Unwahrheit. Empfänglichkeit für Klimawandelleugnung und deren Korrelate in Deutschland”. In: Bronswijk und Hausmann (Hrsg.) Climate Emotions. Klimakrise und psychische Gesundheit. Gießen: Psychosozial – Verlag