Alternative Lösungen – das
Beispiel des Bedingungslosen Grundeinkommens
Worum geht es in dieser Lektion?
Zum gegenwärtigen Sozialmodell gibt
es alternative Vorschläge. Prominent wird seit den 2000er Jahren die Idee des Bedingungslosen
Grundeinkommens diskutiert. Es setzt genau an dem bereits herausgearbeiteten
Gerechtigkeits- und Kohärenzanspruch an und ist daher besonders unter dieser
Perspektive interessant. Darum wollen wir uns das in dieser Lektion genauer
anschauen.
Was ist überhaupt das Bedingungslose Grundeinkommen?
Unter dem Bedingungslosen
Grundeinkommen (BGE) wird ein monatlicher Betrag verstanden, den jede
Person ohne Bedingungen erhält, ohne dass ein Bedarf besteht und eine
Gegenleistung erbracht werden muss. Er wird überwiesen ohne Überprüfung der
eigenen Einkommensverhältnisse oder sonstige Nachweise von Aktivitäten. Weder
muss man bürgerschaftliches Engagement vorweisen noch die Pflege von
Angehörigen oder Versuche, Arbeit zu finden. Auch Kinder und alte Menschen
erhalten es, genauso wie Reiche. Das Grundeinkommen soll so hoch sein, dass der
Lebensunterhalt gesichert und soziale Teilhabe möglich ist (siehe z.B. die Homepage der Initiative
„Freiheit statt Vollbeschäftigung“ sowie des Netzwerks Grundeinkommen.
Bedingungsloses Grundeinkommen erklärt
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So ein Einkommen ohne Gegenleistungen und ohne Bedarfsprüfung stellt das Gegenteil des aktuellen Sozialsystems dar. Gemessen am oben beschriebenen Modell der dreifachen Reproduktion erscheint der Vorschlag dennoch bedenkenswert, denn ein BGE fördert die gesellschaftlichen Reproduktionsbedingungen auf mehrfache Weise, wie die Befürworter*innen betonen:
Grundsätzlich entspricht
das BGE der Struktur der asymmetrischen Gleichwertigkeit. Es stellt also
Fürsorge und Anerkennungsordnung auf ein stabiles Fundament: Fürsorge im
Allgemeinen wird finanziell abgesichert und alle Tätigkeitsfelder werden gleichermaßen
wertgeschätzt. Darüber hinaus wird unser Verständnis von Leistung nicht auf
Erwerbsarbeitsleistungen beschränkt. Zudem erhöht es die Freiheit des
Einzelnen, seinen Fähigkeiten und Interessen folgen und entsprechend eventueller
Notlagen und Bedarfe Fürsorge leisten zu können. Es nimmt die
Lebensvorstellungen der Individuen ernst und schafft Möglichkeiten zu ihrer
Entfaltung.
Kritik und Ausblick
Dieser radikale Vorschlag stößt
selbstredend auf erhebliche Kritik in der sozialpolitischen Forschung ebenso
wie in den Parteien und bei Sozialaktivist*innen. So wird z. B. die
Finanzierbarkeit infrage gestellt und die inhärente Gerechtigkeitsvorstellung
einer staatlichen „Leistung ohne Gegenleistung“ kritisiert (siehe z. B. Enste
2016 oder Fischer 2018). Eine ausführliche Diskussion wäre eine weitere Lektion
wert, sprengt hier jedoch den Rahmen. Weiterführend an der Idee ist in jedem
Fall der Anstoß, den sie zur Herausbildung eines neuen, kohärenteren
Bewährungsmythos geben könnte. Ferner und nicht zuletzt öffnet die Idee des BGE
neue Horizonte für soziale Nachhaltigkeit, die nicht mit Armutsbekämpfung und
neuen Vorstellungen von Gerechtigkeit allein zu bewältigen ist. Die Entstehung
neuer Antworten auf die Sinnfrage erschließt auch nachhaltigere Konsummuster
und Formen der Lebensführung.
Literatur und Quellen
Enste, Dominik H. (2016): Bedingungsloses Grundeinkommen. Vision,
Fiktion oder Illusion? IW Policy Paper
Fischer, Ute
(2018): Eine feministische Utopie? Grundeinkommen und
Geschlechtergerechtigkeit. In C. Butterwegge & K. Rinke(Hrsg.):Grundeinkommen
kontrovers. Plädoyers für und gegen ein neues Sozialmodell. Weinheim,
Basel: Beltz/Juventa, S. 93–112.